Johannes Röser macht den Calvinismus dafür verantwortlich, dass sich »Milliardäre und Millionäre als besonders Auserwählte Gottes, als seine Lieblingskinder betrachten«. Weil sich angeblich im Calvinismus das Seelenheil am Wohlergehen und wirtschaftlichen Erfolg ablesen lasse, habe dies zu »Protzsucht und berauschender Prasserei unter den neuen „Eliten"« geführt.
Zwar nimmt Röser zur Kenntnis, dass diese Mentaltät nicht nur in den angeblich calvinistischen USA, sondern auch in Japan, in Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Brasilien, Russland, in Indien, China und in den arabischen Erdöl-Staaten zu beobachten sei. Doch erschüttert ihn das wenig in der Annahme, dass die in der Wissenschaft längst widerlegte These Max Webers zutreffend sein muss und dass die calvinistische Wirtschaftsethik einen Sündenfall in der Theologie darstellt.
Von einem Chefredakteur einer christlichen Wochenzeitschrift sollte man schon erwarten können, dass er zwischen Neoliberalismus und Calvinismus zu unterscheiden weiß. Falls nicht, geben wir gerne Nachhilfeunterricht mit einigen Zitaten Calvins:
Calvin redet zu den 'Kapitalisten' seiner Zeit:
»Denn so, wie Jesus an anderer Stelle die verschwenderischen Gäste und die ehrgeizigen Gelage der Reichen tadelt und daraufhin befiehlt, eher die Blinden, die Lahmen und andere Arme der Straße einzuladen, die nicht das Gleiche zurückgeben können - so will er auch an dieser Stelle (Lk 6, 35) die sündhafte Gewohnheit der Welt korrigieren, Geld zu verleihen, und er befiehlt uns, grundsätzlich an die zu verleihen, bei denen es keinerlei Hoffnung gibt, es wiederzubekommen.«
»Nun haben wir aber die Gewohnheit, zuerst darauf zu achten, wo sich das Geld mit Sicherheit vermehren kann. Aber viel eher ist es nötig, den Armen zu helfen, bei denen das Geld nicht so sicher angelegt ist. So sind die Worte Christi gültig, sozusagen als wenn er befehlen würde, eher die Armen zu unterstützen als die Reichen.«
»Sicherlich wäre es wünschenswert, dass die Wucherzinsen von der ganzen Welt verjagt würden, dass selbst ihr Name unbekannt wäre. Aber weil das unmöglich ist, muss es dem gemeinsamen Nutzen dienen.« (Calvin plädiert deshalb dafür, Zinsverträge offenzulegen und auf 5% zu begrenzen.)
»Der Grund ist, dass sehr häufig mit der ungesetzlichen Erlaubnis, Wucherzinsen zu erheben, Grausamkeit verbunden ist und viele üble Betrügereien. Was sage ich! Wucher hat quasi immer diese zwei untrennbaren Begleiter, nämlich tyrannische Grausamkeit und die Kunst zu betrügen.«
»Denn jeder, der nach sich und seinem besonderen Profit trachtet, nimmt oder eher raubt einen Gewinn aus dem Schaden des anderen.«
(aus: Über die Wucherzinsen CO 10a, 245-249)
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