Respekt den Ausgegrenzten

Gottesdienst am 6. Trinitatissonntag in der Ev. Kirche Gummersbach 07.07.2024


© Wikicommons/Vereining Rembrandt

Von Dennis Schönberger

Herr, gib uns ein Herz für dein Wort und ein Wort für unser Herz.

Liebe Gemeinde,

ich lese den für den heutigen 6. Sonntag nach Trinitatis vorgeschlagenen Text aus Apg 8,26-39 in der Übersetzung der BasisBibel (BB):

Freut euch – ihr Ausgegrenzten!

26 Philippus (…) erhielt vom Engel des Herrn den Auftrag: »Steh auf! Geh nach Süden zu der Straße, die von Jerusalem nach Gaza führt und menschenleer ist.« 27 Philippus stand auf und ging zur Straße. Dort war ein Mann aus Äthiopien unterwegs. Er war Eunuch und ein hoher Beamter am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien. Er verwaltete ihr Vermögen und war nach Jerusalem gekommen, um Gott anzubeten. 28 Jetzt war er auf der Rückreise. Er saß in seinem Wagen und las im Buch des Propheten Jesaja.

29 Der Heilige Geist sagte zu Philippus: »Geh hin und bleib in der Nähe des Wagens!« 30 Philippus lief hin und hörte, wie der Mann laut im Buch des Propheten Jesaja las. Philippus fragte: »Verstehst du eigentlich, was du da liest?« 31 Der Eunuch sagte: »Wie soll ich es verstehen, wenn mir niemand hilft?« Und er bat Philippus: »Steig ein und setz dich zu mir!« 32 An der Stelle, die er gerade las, stand: »Wie ein Schaf wurde er zur Schlachtbank geführt. Wie ein Lamm stumm bleibt, wenn es geschoren wird, sagte er kein einziges Wort. 33 Er wurde zutiefst erniedrigt, doch das Urteil gegen ihn wurde aufgehoben. Wer wird seine Nachkommen zählen können? Denn sein Leben wurde von der Erde weg zum Himmel emporgehoben.« 34 Der Eunuch fragte Philippus: »Bitte sag mir, von wem spricht der Prophet hier – von sich selbst oder von einem anderen?« 35 Da ergriff Philippus die Gelegenheit: Ausgehend von dem Wort aus Jesaja, verkündete er ihm die Gute Nachricht von Jesus.

36 Als sie auf der Straße weiterfuhren, kamen sie an einer Wasserstelle vorbei. Der Eunuch sagte: »Dort ist eine Wasserstelle. Spricht etwas dagegen, dass ich getauft werde?« 37 [...] 38 Er befahl, den Wagen anzuhalten. Beide, Philippus und der Eunuch, stiegen ins Wasser, und Philippus taufte ihn. 39 Als sie aus dem Wasser herausstiegen, wurde Philippus vom Geist des Herrn fortgenommen. Der Eunuch sah ihn nicht mehr. Aber er setzte seinen Weg voller Freude fort.

1. Aus einer Lebensgeschichte

„Liebe Leser:innen,

ich heiße Asaria – so nenne ich mit zumindest seit einiger Zeit. Ich lebe wieder in Äthiopien, meiner Heimat. Heute ist mein Geburtstag, glaube ich. Wieso ich da unsicher bin, möchte ich euch gerne erzählen.

An meine Eltern kann ich mich kaum noch erinnern. Ich habe sie nicht wirklich kennenlernen dürfen. Sie haben mich mit 5 Jahren an den Hof der Königin Kandake gegeben. Kandake war, als sie noch lebte, eine mächtige, bekannte und einflussreiche Königin, die gute Beziehungen zu Ägypten unterhielt. Als ich an ihren Königinnenhof kam – meine Mutter hatte acht Kinder geboren, wovon sie sechs weggab –, wurde ich kastriert. Das war sehr schmerzhaft und es war erniedrigend. Ich erinnere mich noch heute an diesen Tag. Ich verstand als Sechsjähriger noch nicht, warum man mir das antat. Erst später erfuhr ich, dass ich Kandake als Eunuch dienen sollte. Als kleiner Junge wusste ich nicht, was das bedeuten sollte. Der Schrecken saß noch zu tief.

Als ich ungefähr zehn Jahre alt war, hatte die Königin bereits sechs Eunuchen, die ihr dienten. Ich war einer von ihnen. Aber nur mich allein hatte sie zum Finanzminister ausersehen. Als Vierzehnjähriger wurde ich in der Kunst des Kämmererwesens unterwiesen und machte, so kann ich im Rückblick stolz sagen, meiner Königin alle Ehre. Ich mochte sie nicht besonders, denn sie konnte aufbrausend sein. Und sie war dünkelhaft. Sie glaubte, wie ihre Vorfahren, dass sie vom Gott Amun selbst abstamme. Ihn verehren auch die Ägypter. Der große Amun-Kult am Hof hat mich mit seinen Festen zwar beeindruckt, innerlich blieb ich ihm gegenüber aber reserviert. Es gab viele weitere Feste zu Ehren mächtigerer oder unterlegener Gottheiten. Sie galten als Garanten dafür, dass das Königshaus so bleiben sollte, wie es gegründet wurde: mächtig! Diese Macht lastete nicht wenig auf dem Rücken von Sklaven!

Als Finanzfachmann, ich war schon immer geschickt im Umgang mit Zahlen, litt ich aber bei weitem nicht so, wie die Sklaven, die niederen Adeligen dienen mussten. Ich war ja direkt der Königin unterstellt und sie vertraute mir. Sie wusste, dass ich, im Unterschied zu den anderen Sklaven, niemals eine Familie würde gründen können, dass ich ihr Geld nie für eigne Zwecke würde verwenden können. Sie war großzügig, ich merkte aber schon als Kind, dass auch ich ein Sklave war. Gewiss, ein herausgehobener, der Königin unmittelbar unterstellter Sklave, aber ein von der Gunst dieser Frau abhängiger Mensch. Dieses Wissen belastete mich jedoch weniger als meine körperliche Erscheinung

Immer, wenn ich als Kind, und noch als junger Erwachsener, an mir heruntersah, schämte ich mich. Ich hasste meinen abnorm-unförmigen Körper. Nicht nur meine abhanden gekommene, mir genommene „Männlichkeit“, vor allem mein überproportionierter Oberkörper, mein allzu Gesicht und meine hohe Stimme missfielen mir. Ein jeder, der mich sah, sah, dass ich anders war, dass ich anders sprach als andere. Und ich fühlte mich anders, wollte aber doch nicht gar anders sein. Ich wollte sein, wie alle anderen auch!

Ich mochte meine Stelle als Hofbeamter. Sie ermöglichte mir gewisse Freiräume, die anderen verwehrt blieben. Trotzdem erlebte ich Ausgrenzungen. Als Kind schottete die Königin mich von meinen Altersgenossen ab. Sie regierte mein Leben ebenso wie das aller Äthiopier. Recht oft kam ich mir wie ein Aussätziger vor, obwohl ich privilegiert war. Ich musste eine Rolle spielen, und zwar perfekt und fehlerlos. Dieses gestrenge Leben ließ ich mir gefallen, ich ließ mir jedenfalls äußerlich nichts anmerken. Aber innerlich litt ich darunter, dass ich nirgendwo richtig dazugehörte.

Über viele Jahre erging es mir so. Ich war nicht nur körperlich ein versehrter, gezeichneter, ja markierter, für alle sichtbar gebrandmarkter Mensch, ich war es seelisch auch – als Kind habe ich oft Nächte wachgelegen und bitter geweint. Ich vermisste ja mein zu Hause. Meine Eltern hatten es mir verwehrt, sie und meine Geschwister kennen und lieben zu lernen. Und ich habe Vater und Mutter nie wiedergesehen. Meine Brüder und Schwestern habe ich ebenfalls nicht wieder auffinden können.

Eines Tages, ich erinnere mich noch sehr gut daran, plante Kandake nach Jerusalem zu reisen, wohin ich sie mit anderen Untergebenen begleiten sollte. Kurz vor Antritt der Reise hatte ich eine verschollen geglaubte Schriftrolle erworben. Ich hatte sie für viel Geld bei einem Manne gekauft, der Jude zu sein schien. Er gab mir mit auf den Weg, aus der Schriftrolle immer laut vorzulesen, damit sich mir das Gelesene einprägte. Der Inhalt der Schriftrolle war erstaunlich. Die wenigen Kapitel, die ich gelesen hatte, handelten von einem jüdischen Propheten, der von seinem Gott zum Heilspropheten erwählt worden war. Er bezeugte, dass es nur einen einzigen Gott gebe. Und dieser habe die Hebräer aus Liebe erwählt, aber auch zugelassen, dass sie sein Land verloren und doch versprochen, sie aus der Fremde Babylons ins Land zurückzuholen.

Götter, die Menschen für ihre Missetaten straften, kannte ich. Aber ich wusste nichts von nur einem einzigen Gott, der Heil schafft in der Geschichte seines Volkes. Das war neu für mich. In der Schriftrolle war immer wieder die Rede von einem „Knecht“ Gottes. Ob er, wie ich, ein Sklave war – ein Sklave des einen Gottes? Ich verstand einfach nicht, ob der Prophet von sich selbst sprach oder von einem anderen „Knecht“. Dieser Knecht war ein treuer Knecht, der tat, was Gott ihm gebot. Er hatte viel zu dulden und zu erleiden und das erinnerte mich an mich. Auch er wurde erniedrigt. Von wem? Von Feinden! Und von Freunden! Auch das kannte ich. Aber mir wurde nicht klar, wen der Prophet meinte. Er ließ die Frage offen. Für mich war das damals unbefriedigend. Man konnte die Worte dieses Propheten so oder so, oder wieder ganz anders verstehen. Das reizte mich, und zugleich verwirrte es mich.

Ich las beim Propheten, dass die Hebräer ihren Gott anbeten sollten in Jerusalem im Tempel. Vor Jahrzehnten ist er von einem römischen Herrscher neu errichtet worden. Kandaces Reise bot mir die Gelegenheit, nicht nur ihr zu dienen, sondern auch den einen Gott der Hebräer im Tempel anzubeten. Doch die Königin hab mir, als ich das ansprach, schnell zu verstehen, dass Eunuchen nichts im Tempel zu suchen hätten. Sie seien aus Sicht der Juden unrein. Sie behielt Recht! Ich kam zum Tempel, durfte aber nicht hinein.

Auf dem Rückweg von Jerusalem, wir kamen gerade durch das menschenleere Gaza, sprang, ich weiß nicht wie und woher, plötzlich ein fremder Mann an unseren Wagen heran, der mich beim lauten Lesen in der Schriftrolle sah und mich fragte, ob ich überhaupt verstünde, was ich lese. Ich antwortete verblüfft, dass ich schon Hilfe gebrauchen könne, denn ich verstand nicht, wer Gottesknecht sei. Der Mann, Philippus mit Namen, war ein jüdischer Christ, der mir eine Geschichte erzählte, von der ich nun wirklich noch nie gehört hatte, weder bei jüdischen noch bei äthiopischen Menschen.

Er deutete die Prophetenstelle, bei der ich stets feststeckte, so, dass dieser Knecht ein gewisser Jesus gewesen sei, der aus Nazareth stammte und den er und Freunde als Messias Israels und Retter der Welt erfahren hätten. Gott habe diesen Menschen, eine treue Seele durch und durch und dem einen Gott nachfolgend, von den Toten erweckt. Die Menschen hätten ihm zwar übel mitgespielt, er habe viel gelitten, doch sein himmlischer Vater sei ihm treu gewesen und habe den Gekreuzigten aus dem Totenreich herausgeholt und so den Tod besiegt. Danach sei er gar vor vieler Menschen Augen ins Reich seines Vaters emporgehoben worden, habe aber zuvor seinen zwölf Aposteln und sieben weiteren Diakonen – Philippus selbst zählte sich zu ihnen – seine Geistkraft zum Trost mitgegeben, damit die Gemeinde, in Bedrückung und in Zweifeln, an ihrem Messias festhalte, seine Wiederkunft erbete und sich im Leben rechtschaffe erweise.

Philippus erzählte so anschaulich und mitreißend von Jesus, dass mir schwindelig wurde. Das zur Schlachtbank geführte Schaf, das mundtot gemachte Lamm, sie stellten den Gesalbten, ja den Retter der Hebräer und überhaupt aller Menschen dar, also auch aller Heiden – wie ja ich einer war. Ich überlegte: War Christus auch mein Retter? Ich verstand und erlebte, wie mich Jesus durch Philippus ansprach und mir ins Herz hineinsprach und wie ich mich wiederfinden konnte in diesem Verachteten und Ausgeschlossenen. Ich spürte, dies durfte nicht das letzte Wort über seinem Leben sein und auch nicht über meinem. Als Eunuch hatte ich mich mein ganzes Leben hindurch für mich geschämt. Philippus machte mir durch seine sensible Sprache klar, dass ich mich nicht schämen müsse, im Gegenteil: Durch den, der sich selbst erniedrigt habe, sei ich erhöht, durch seine Verachtung wiederführe mir Achtung. Durch seine Stellung, die er vor Gott und Menschen innehatte als einer, der nirgendwo hinpasste, ist mir bewusst geworden, dass meine privilegierte Stellung mit Verantwortung einherging, und zwar ihm und erst dann der Königin gegenüber, vor allem aber gegenüber Schwächeren.

Deshalb ließ ich mich von Philippus auf sofort taufen! Ich zögerte keine Sekunde! Er war sehr gerne dazu bereit, tauchte mich an einer Wasserstelle unter und zog mich wieder herauf zum Zeichen dafür, wie Jesus Christus gestorben war und wieder auferweckt wurde. Und ich? Ich wurde froh, tanzte vor ihm, war überglücklich. In Jesus Christus wusste ich mich geborgen, in seiner Gemeinschaft beschützt und ermutigt, ihm und ihr zugehörig. Hier durfte ich endlich ich selbst sein. So geschah es, dass Philippus, so plötzlich er erschienen war, verschwand.

In Äthiopien angelangt, sprach ich mit Kandake darüber, was mir widerfahren war, wer Jesus Christus sei und die Christ:innen seien, und dass seine Botschaft mein Leben verändert habe. Kandake hörte aufmerksam zu. Ich bemerkte in ihrem Gesicht jedoch mehr Verwunderung als Respekt für meine Entscheidung, mich taufen zu lassen. Sie hatte kein Problem damit, wenn ich eine weitere Gottheit verehrte. Könne nichts schaden, meinte sie scherzhaft. Ich aber weiß, dass ich neben dem Gesalbten Gottes keinen anderen Gott mehr anbeten darf und will. Keiner hat mir so geholfen, hat mich derart aufgerichtet, hat mir so Mut gemacht, wie Jesus Christus, mein König und Heiland.

Ich blieb weiter Finanzminister. In höherem Alter entließ Kandake mich aus ihrem Dienst und machte mich zu einem Freien. Ich hatte in der Zwischenzweit weitere jüdische Schriftrollen erhalten und las sie so, wie Philippus es mich gelehrt hatte: mit Respekt vor einer mir fremden Tradition und eingedenk der Tatsache, dass Israels Messias den Namen Jesus trägt. Ich wusste von Philippus, er hatte es mir eingeschärft, dass Christen:innen allein nicht überleben können.

Also gründete ich in meiner Heimatstadt die erste christliche Gemeinde. Sie war anfangs sehr klein, aber wir, die ersten von mir getauften Brüder und Schwestern, waren, wie man so sagt, Feuer und Flamme für das Evangelium von Jesus Christus. Alle fanden es inspirierend und steckten mit ihrer Freude und Verbindlichkeit andere an! Ich wusste, was die Geistkraft fertig brachte. Jetzt bin ich so alt, dass ich andere darin unterweisen kann, Menschen zu taufen. Die Taufe war und blieb für mich das Zeichen, zur Gemeinde Jesu Christi zugehören. Mehr nicht!
 Die Gemeinde Jesu Christi ist nicht nur in Äthiopien und Israel zu Hause, sondern, das hörte ich erst gestern von einem Freund, in vielen Ländern. Sie breitet sich, auch unter Verfolgung, aus! Möge es so weitergehen!“

2. Die Lebensgeschichte in der Geschichte Jesu Christi

Liebe Gemeinde,

dieser Lebensbericht kann leicht erweitert werden. Was mir wichtig ist, ist, dass wir zweierlei aus dieser Geschichte lernen können, was uns in Bewegung versetzen wird, wenn wir’s uns zu Herzen nehmen, so wie der Eunuch sich das Evangelium zu Herzen genommen hat.

Das Erste ist: Freude kommt von Herzen! Wenn ich auf unsere Gemeinde schaue, sehe ich da und dort Freude: Freude über die große Spendenbereitschaft für unsere Kirche oder Freude darüber, dass wir eine neue Pfarrerin haben, ein relativ neu zusammengesetztes Presbyterium, oder dass wir viele Ehrenamtliche haben, die sich in der Gemeinde engagieren. Wir leiden aber auch unter zunehmendem Rückzug vieler Menschen aus der Kirche, unter Finanznöten, unter Krankheiten sowie unter der gesellschaftlichen Stimmung oder der politischen Weltlage.

Die Apg erzählt von einem Mann, der als Außenseiter betrachtet wird. Dies ist nicht nur eine Fremdzuschreibung. Er selbst sieht sich so. Er lässt sich aber nicht unterkriegen. Zuerst wurde er von den Seinen ausgegrenzt, dann wurde er von den Mächtigen eingegrenzt. Er wollte aber frei sein. Er kannte zwar viele Götter, wollte aber nur den einen verehren. Er kannte die fünf Büchern Moses nicht, bekannt waren ihm die Kapitel aus Deuterojesaja, die er zwar lesen, die er aber nicht verstehen konnte.

Wie sind wir da anders dran. Wir sind mehr oder weniger „christlich“ sozialisiert, sind regel- oder unregelmäßige Kirchgänger, teils gottvergessen und dafür selbstversessen, „bürgerliche“ Menschen mit ihrem vielleicht privaten oder halbprivaten Christentum, mit entweder milder oder strenger Frömmigkeit und Spiritualität. Der Eunuch kannte christliches Leben anders als wir. Er war voller Scham, Mobbing ausgesetzt und auch als hoher Beamter nicht vor Blicken, die entwürdigen, geschützt. Wie er sich in Christus wiedererkennt, so dürfen wir uns in ihm als Christ:innen aus den Heiden wiedererkennen und als neue Menschen erfahren: nicht mehr so gottvergessen und selbstversessen, nicht nur christlich sozialisier, sondern als Christ:innen bewähren wir uns als sozial und politische wache Bürger, die Verantwortung für die Nächsten übernehmen. So werden wir fröhlich werden, wie der Eunuch fröhlich wurde.

Das Zweite ist dies: Wo wir heute morgen hier zusammen sind, und wo ein Kleinkind getauft wurde, da ist der rechte Ort, der Menschen zu gedenken, die wir nicht im Blickfeld haben und vielleicht auch gar nicht haben wollen. Der verqueren, der queeren Menschen, die quer stehen zu unseren Normen, zu dem, was uns als „normal“ oder gar moralisch richtig scheint. Lesben, Schwule, Transsexuelle und alle anderen, deren geschlechtliche Identität sich nicht eindeutig Mann oder Frau zuordnen lässt und die darunter leiden, wenn ihre Mitmenschen sie dennoch zuordnen, einebnen, anpassen, richtigstellen wollen. Menschen, die daran ersticken, dass die Familie, das die Gesellschaft immer noch zu wenig Verständnis für ihre Lage und mehr noch für ihr Sosein und nicht Anderssein hat.

Als versöhnte Geschöpfe sind wir zum Respekt den Ausgegrenzten gegenüber aufgefordert. Wie wir respektiert werden wollen, so respektieren wir andere. Wie würden wir uns fühlen, wenn wir für unser Sosein diskriminiert würden? Würde uns das nicht verletzen? Jetzt ahnen wir vielleicht, wie es dem namenlosen(!) Eunuchen in unserer Geschichte erging. Er aber gibt Gott alle Ehre. Er lässt sich nicht unterkriegen. Geben auch wir Gott die Ehre, indem unser Blick geschärft wird für die Ausgegrenzten. Der Eunuch wurde ja vielfach ausgeschlossen: In Gesellschaften, in denen das männliche Familienoberhaupt über alle und über alles bestimmt, in Ländern, in denen Herrscher regieren, wie sie wollen, also willkürlich und unberechenbar, oder in Religionen, in welchen unfruchtbare Männer und Frauen nicht länger als Männer und Frauen gelten und somit von religiösen Bräuchen ausgeschlossen werden. Dort braucht es den Mut und die Cleverness eines Eunuchen, der gegen den Strom schwimmt.

Ich habe gelesen, dass die äthiopische Kirche eine der ältesten christlichen Kirchen ist und sich auf diesen Eunuchen als ihren Gründer beruft. Falls auch nur ein Stücklein Wahrheit an seiner Legende klebt, dann ist er schon dadurch gegen den Strom geschwommen, dass er eine Kirche hat erbauen lassen – in einem religiösen Umfeld voller heidnischer Kulte für zahllose Götter und in einem gesellschaftlichen Klima, in dem Eunuchen als unmännlich galten.

Indem er seinem Heiland eine Gemeinde baut, bekennt er, dass er Jesus Christus (zu)gehört, dass er aber nicht allein sein kann als Christ, dass seine Zugehörigkeit zu Jesus überspringen soll auf viele andere. Seine neue Familie ist die Gemeinde Jesu Christi. In ihr ist er um Christi willen nicht einsam, sondern stützt der eine die andere (und umgekehrt).

Das wünsche ich uns allen von Herzen, dass ihr der Gemeinde Jesu Christi treu bleibt, wie er euch treu ist und bleibt und dass ihr nicht gemobbt oder ausgegrenzt werdet, vielmehr fröhlich seid. Freude steckt an, vertreibt Sorgen! „Wer das fassen kann, fasse es!“ (Mt 19,2, ZÜ)
„Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Jesus bewahren.“ (Phil 4,7, ZÜ)

Amen.


Dennis Schönberger