„Integriert Euch!“ ruft die Soziologin Annette Treibel und meint damit auch mich und meine „altdeutsche Familie“. Was kommt, ist leicht zu ahnen: In einem Einwanderungsland zu leben fordert auch von den Alteingesessenen sich zu integrieren, auf Deutsch: sich zu erneuern, geistig aufzufrischen. Klingt gut! Vorbei die in schweigenden Nebel hüllende Langeweile, jenes „Selbstgespräch ohne Inhalt, ohne Thema, ohne jemanden anderen“ (Franz Schuh). Ein Freund von mir hat bereits angefangen Arabisch zu lernen. Dazu muss ein Erwachsener in der Tat recht „frisch“ im Kopf sein.
„Zunehmende Verschiedenheit und Komplexität zu verarbeiten, kann anstrengend sein“, gesteht Treibel. Aber sie meint damit nicht das Erlernen einer weiteren Sprache bei den „Alteingesessenen“. Wagen wir einen Blick in die Forschungsergebnisse der Migrationsexpertin.
Für den Zusammenhalt in einer Gesellschaft spielten „Normen und Werte“ eine „geringere Rolle als Organisationsprinzipien und Kommunikationsstrukturen“, so Treibel. Kooperation ist gefragt, ohne als erstes nach Gesinnung oder Glaube zu fragen. Bei den in Flüchtlingsunterkünften zu Gewalttätigkeiten eskalierenden Konflikten ist das offensichtlich. In den meisten Fällen gehe es nicht um Glaubensstreitigkeiten zwischen Moslems und Christen, sagt die Geschäftsführerin eines Rintelner Sicherheitsunternehmens, das in einer Notunterkunft mit 200 Flüchtlingen die Aufsicht führt. Banal erscheinende Dinge wie die Reihenfolge bei der Essensausgabe seien vielmehr der Auslöser von Streitigkeiten. Gute Organisation ist entscheidend.
Und dann? Was heißt Integration, wenn Flüchtlinge die Heime verlassen und sich hier auf Arbeitssuche begeben? Wir werden sehen. Ein soziologischer Blick auf die Einwanderer, die bereits seit vielen Jahren hier leben, etwa türkischstämmige Bürger, zeigt, wie schwer es „Altdeutschen“ fällt, ihren ökonomischen Erfolg zu akzeptieren, gar wertzuschätzen. Da werden Arbeitsdisziplin und mitarbeitende Familienmitglieder als Missachtung sozialer Standards gedeutet. Wo kommen wir denn hin, wenn Muslime sich durch „protestantische Tugenden“ auszeichnen? Das Gefühl Privilegien und Sicherheiten zu verlieren geht um, wenn Hierarchien sich wandeln.
Integration ist ein Projekt für alle; naiv zu denken, das könnte ohne Konflikte gelingen.
Das Stichwort der protestantischen Tugenden in einer soziologischen Studie bringt uns doch wieder zum Umgang mit „Normen und Werten“. Max Webers These lässt grüßen: Das reformatorische Verständnis des weltlichen Berufes als Berufung plus Nüchternheit, gar Askese statt Verprassen des verdienten Kapitals plus pausenlose Betriebsamkeit als Sinnstiftung und religiöser Motor des modernen Kapitalismus. Fürs 21. Jahrhundert hat der Theologe Georg Pfleiderer den „sozialen Sinn der Religion“ von neuem auf eine Formel gebracht: „Menschlichkeit als Beruf“.
Das erleben wir gerade.
Literatur:
Treibel, Annette, Integriert Euch! Plädoyer für ein selbstbewusstes Einwanderungsland, Campus Verlag Frankfurt / New York 2015.
Pfleiderer, Georg, Heit, Alexander (Hg.), Wirtschaft und Wertekultur(en). Zur Aktualität von Max Webers