Sie sprachen fließend Französisch

Mittwochs-Kolumne. Von Paul Oppenheim

Foto: Carol KAPSA/freeimages.com

Die Zeugen der Schießerei im Bataclan waren sich darin einig: „Die Terroristen sprachen fließend Französisch“.

Die Täter des 13. November konnten, bis auf zwei Selbstmordattentäter mit falschen Papieren, eindeutig identifiziert werden. Sie waren allesamt Franzosen oder Belgier, junge Männer und eine junge Frau mit arabischem „Migrationshintergrund“. Auch diejenigen, die im Januar 2015 Redakteure und Karikaturisten des Satiremagazins Charlie Hebdo ermordet haben, waren französische Muslime mit arabischen Wurzeln ebenso wie Mohammed Merah, der im März 2012 zuerst drei französische Soldaten und dann in einer jüdischen Schule drei Kinder und einen Rabbiner erschoss.

Nach den Morden in der Charlie Hebdo Redaktion und im jüdischen Supermarkt gab es in Frankreich eine öffentliche Debatte über die wahren Gründe des Terrors. Mit großem Ernst, selbstkritisch und manchmal selbstquälerisch wurde in endlosen Talkshows gefragt, wie es kommt, dass die Kinder von Einwanderern zu islamistischen Fanatikern werden, dass sie in den Terrorismus abgleiten? Woher kommt ihr Hass? Was hat Religion damit zu tun? Wurden in den letzten Jahrzehnten Fehler gemacht?

Eine solche Diskussion sollte dieses Mal verhindert werden. „Keine Selbstzweifel!“ hieß jetzt die Devise. „Frankreich befindet sich im Krieg“ und zur Vergewisserung wird die blutrünstige Marseillaise angestimmt!

Dabei gäbe es genügend Gründe, die Integrationspolitik des Nachbarlandes zu hinterfragen, wenn man an die Straßenschlachten zwischen der Polizei und den sogenannten „Jugendlichen aus den Vororten“ denkt. Es war der Aufstand der Jugendlichen mit „Migrationshintergrund“, die sich betrogen fühlen. Erfahrungen der Ungleichbehandlung machen sie anfällig für Verführer im Gewand der Religion ebenso wie für Drogen und Kriminalität. In einer Gesellschaft, die Gleichheit (Égalité) auf ihre Fahnen schreibt, fühlen sie sich wegen ihrer Herkunft und Religion diskriminiert und marginalisiert. Darüber muss offen gesprochen werden. Dazu gehört, dass Probleme beim Namen genannt werden und nicht mit vermeintlicher politischer Korrektheit unter den Teppich gekehrt werden. Ein Euphemismus wie der Begriff „Jugendliche aus den Vororten“ verdeckt nämlich auch die Ausgrenzung ethnischer Minderheiten und den dahinter liegenden Rassismus.

Das Observatoire des Inégalités (Beobachtungsstelle für Ungleichheiten), eine französische NGO, die gesellschaftliche Entwicklungen in Frankreich wissenschaftlich untersucht, stellt im Mai 2015 fest, dass die Arbeitslosenquote unter Einwohnern mit nicht-europäischem Migrationshintergrund mehr als doppelt so hoch ist (21%) wie bei Franzosen ohne Migrationshintergrund (9%). Ähnliche Ungleichheiten stellen Sozialwissenschaftler bei Schulabschlüssen und Einkommensverhältnissen auch in anderen europäischen Ländern fest. Da gäbe es in der Tat viel zu tun, wenn man den echten Gründen für den Terror in Westeuropa zu Leibe rücken wollte. Eine Kriegserklärung gegen die Ungleichheiten tut Not - nicht nur jenseits des Rheins.

Paul Oppenheim, Hannover, 13. Januar 2016