Majestätsbeleidigung

Einspruch! - Mittwochs-Kolumne von Georg Rieger

Foto: Jonas Rogowski/wikimedia

Warum hat eigentlich noch niemand auf reformiert-info etwas über Jan Böhmermann geschrieben?

Obwohl es doch schließlich seit zwei Wochen das wichtigste Thema in den deutschen Medien ist. Das war jetzt noch nicht Satire, sondern nur Ironie. Es ist eine der wohl absurdesten Affären, die es je gab. Und dennoch eine, die es in sich hat. Im Grunde geht es nämlich um ein ganz heikles Thema: die Ehre.

Aristoteles hat sie als erster in der sogenannten Nikomachischen Ethik etwa 300 Jahre vor Christi Geburt beschrieben, und zwar als persönliches Streben nach Vortrefflichkeit. Im Mittelalter und in der Neuzeit wird die Ehre zunehmend zum verletzlichen Kern der Persönlichkeit, der freilich nur den Männern zugestanden wurde. Die Verletzung oder gar der Verlust der Ehre verpflichtet zur Reaktion bis hin zum Duell oder dem Sühnemord.

Solches Ehrgefühl als mittelalterliches oder gar südeuropäisch-arabisches Relikt abzutun, wäre aber zu einfach. Bis heute ist die verletzte Ehre eine gerne gewählte Begründung für aggressives Verhalten. Und bis heute wird sie allzu gerne zugestanden und die Ehrverletzung strafrechtlich verfolgt. So ja auch jüngst im Fall Böhmermann.

Die Religionsgemeinschaften sind daran vielleicht nicht unschuldig und geraten deshalb aktuell unversehens mit in die Diskussion. Sie werden als solche genannt, die sich mit dem Hinweis auf religiöse Gefühle dasselbe Recht wie der türkische Präsident herausnehmen und auf einer Sonderbehandlung in Sachen Verunglimpfung beharren. Insofern ist es schon (mal wieder) an der Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wo bei uns Christen die „Majestätsbeleidigung“ anfängt.

Das Gebot nach dem Bilderverbot (das dritte nach reformierter und zweite nach lutherisch/katholischer Lesart) lautet: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen!“ Die Frage ist nun: Geht es bei dem Gebot zum Schutz des Namens Gottes überhaupt um dessen Ehre? Haben wir die Pflicht, die Ehre Gottes vor Verunglimpfungen zu schützen? Und ist die Kategorie der Ehre überhaupt eine, bei der man sich auf Gott berufen kann?

Zunächst ist es kaum vorstellbar, dass Gott durch Beleidigungen oder Schmähungen in seinem Selbstbewusstsein angekratzt wird. Was wäre das für ein Gott, für den persönliche Eitelkeit relevant ist. Der Missbrauch seines Namens meint ganz handfeste Vergehen, die im Namen Gottes begangen werden – also der Missbrauch von Menschen, Kriege in seinem Namen und auch religiöse Verführung.

Die Verletzung religiöser Gefühle ist als Delikt schwammig und entlarvt den Anzeigenden als eine humorlose Mimose. Der gefestigte Glaube lässt sich idealerweise überhaupt nicht beleidigen, sondern zeigt im Aushalten seine Stärke. Eine Sonderbehandlung ist also im höchsten Maße anachronistisch und gehört wie die Majestätsbeleidigung aus den Gesetzen gestrichen. Nicht für den Schutz religiöser Gefühle, sondern für den Schutz derer sollen sich die Religionen einsetzen, die alltäglich durch Misshandlung und Not aufs tiefste beleidigt werden.

Georg Rieger