In der letzten Ausgabe der ZEIT zeigt uns Jesus einen Vogel. „Warum haben wir noch zwei Kirchen?“ fragt Evelyn Finger, verantwortliche Redakteurin des Ressorts „Glauben und Zweifeln“. Unter dem Titel „Ziemlich beste Feinde“ unterstellt sie Kirchenfunktionären aus der dritten Reihe, den großen Friedensschluss aus Berechnung zu verhindern. Das Kirchenvolk sei längst weiter und störe sich nicht mehr an den Konfessionsgrenzen.
Stimmt. Die beiden großen Religionskonzerne könnten sich verbünden und hätten auf einen Schlag die Macht auf dem religiösen Markt. Verlockend einfach. „Was aber soll an der Trennung der Kirchen relevant sein? Darauf müssen sie gemeinsam antworten, wollen sie überleben.“ Genau. Es darf auf jede Frage nur noch eine Antwort geben. Dann ist die Welt der Christen wieder in Ordnung.
Nein, so hat das Evelyn Finger natürlich nicht gemeint. In theologischen Fragen sei man sich sogar längst einig. „Der Hauptunterschied liegt noch im Kirchenverständnis“. Da liegt der Verdacht doch nahe, dass die Funktionäre ihre Existenzberechtigung sichern wollen und sich gegen den Zusammenschluss sperren.
Dass die Ökumene in den Kirchenleitungen und -behörden anders verhandelt wird als vor Ort in den Gemeinden gelebt, das hat Evelyn Finger trefflich erkannt. Gemeinsame Kirchennutzung, Kanzeltausch, Abendmahlsgemeinschaft – es gibt fast nichts mehr, was es nicht gibt. Doch die Gemeinde möchte ich sehen, die ihr Kirchenverständnis aufgibt und mit wehenden Fahnen zur anderen Seite wechselt. Warum auch?
Die Wirkung der Ortsgemeinde in die städtische oder ländliche Gesellschaft hinein ist in keiner Weise dadurch geschmälert, dass es verschiedene Konfessionen gibt. Ab und zu mal die Frage beantworten, wo denn nun da die Unterschiede bestehen … wer wüsste besser als wir Reformierten, dass man das aushalten kann.
In theologischen Fragen ist eine Annäherung denkbar. Sogar eine weitgehende Einigung. Die Differenzen sind tatsächlich da am größten, wo es ums Alltägliche geht – um die Organisation des Miteinander und des darin sich spiegelnden Gottesbildes. Anachronistisch ist das nur bei oberflächlicher Betrachtung. Gerade wer an der Basis mit dabei ist, spürt und weiß: Beim Kirchenverständnis geht es ums Ganze.
Zwar nicht angeboren, aber tief verwurzelt, haben wir unseren Glauben so oder so geschenkt bekommen, gelernt und erfahren. Deshalb ist allerdings auch der hohe Respekt vor denen logisch, die ein anderes Kirchenverständnis haben - zumindest solange das nicht seinerseits übergriffig ist (wie zum Beispiel das mancher Sekten oder übereifriger Gemeinschaften). Katholiken und Protestanten sind wo man auch hinschaut ziemlich beste Freunde.
Wem wäre aber geholfen, wenn Protestanten sich der römischen Hierarchie unterwürfen? Oder umgekehrt? Auch Evelyn Finger macht sich erst über die gelegentlichen lutherischen Anbiederungsversuche lustig und ein paar Zeilen später ebenso über die trotzige Verweigerungshaltung der Kirchenapparate. Am Ende bleibt in dem ganzseitigen Artikel die Forderung nach einem „Symbol der Versöhnung“, zum Beispiel der Einladung des Papstes nach Wittenberg. Und das soll es dann gewesen sein?
Kein Katholik würde nach so einem Ereignis zum Protestanten und kein Protestant Katholik. Vielleicht wären ein paar Religionsmüde kurz aufschrecken und Beifall klatschen. Aber dann? Ist auf eine solche symbolische Handlung hin mit einer Erweckung zu rechnen? Mit einer Aufwertung der Kirchen im gesellschaftlichen Diskurs?
Die Forderung nach der organisatorischen Einheit der Kirche entspringt entweder einem wachstums- und machtorientierten Reflex auf die (vermeintlich erfolgreiche) Überlebensstrategie von Konzernen und dem Drang nach Synergie und Vereinheitlichung.
Oder es steht eine romantische Sehnsucht dahinter, die einfach nicht wahrhaben will, dass Gott das Fundament und das Ziel auch durchaus verschieden organisierter Kirchen sein kann. Warum sollte ihn ausgerechnet da die Vielfalt stören, mit der er uns doch anderweitig reich beschenkt.
Natürlich soll der Papst nach Wittenberg kommen. Das wäre eine große Geste für die Toleranz der Konfessionen und der Religionen. Doch noch viel wichtiger ist, dass unsere katholischen Freundinnen und Freunde uns in unseren Kirchen besuchen und wir sie. Und wir uns lebhaft streiten, versöhnlich miteinander feiern, gemeinsame Ziele verfolgen und alles: soli deo gloria – dem alleinigen Gott zur Ehre!
Evelyn Finger, Ziemlich beste Feinde, DIE ZEIT No. 21 vom 12. Mai 2016, Seite 48 (leider nicht online nachzulesen)
Georg Rieger, 18. Mai 2016