Das Gerede von der Gesinnungsdiktatur

Einspruch! - Mittwochs-Kolumne von Georg Rieger

Foto: Rieger

Doch! Es gibt Parallelen zur nationalsozialistischen Propaganda – und nicht wenige.

In meiner Jugend durfte ich mich mit den Folgen und dem Phänomen des Nationalsozialismus beschäftigen – dank meiner Eltern und einiger engagierter Lehrerinnen und Lehrer. Meine Mutter hat mir Jugendbücher besorgt, in denen sich die ersten Autorinnen und Autoren an die Aufarbeitung des Dritten Reiches wagten.

In der Schule wurden wir nicht nur mit den Gräueltaten der Nazis konfrontiert – das natürlich auch, sondern beschäftigten uns auch mit dem Entstehen und dem Durchmarsch des Nationalsozialismus als Ideologie. Unter anderem mit der Rhetorik der nationalsozialistischen Bewegung.

Ein wesentlicher Bestandteil dieser Rhetorik war es, den Deutschen einzureden, sie seien ein durch den Ersten Weltkrieg geschändetes Volk und würden von den Juden um ihren Wohlstand gebracht. Dazu wurden Umstände bewusst überzogen interpretiert, Tatsachen verdreht, Geschichten erfunden. Gegen die äußeren und inneren „Feinde“ wurde die Stimmung immer weiter aufgeheizt und der Rassismus zum Schlüssel aller Probleme positiv gedeutet.

Gerade weil mich der Umgang mit der Sprache zeitlebens interessiert, ist mir das damals Gelernte nicht nur gut im Gedächtnis, sondern eine Warnung geblieben. Diejenigen, die die Nazi-Propaganda teils noch live erlebt haben, haben uns junge Menschen gewarnt, niemals mehr auf solche Tricks hereinzufallen, sondern den Dingen auf den Grund zu gehen, wo nötig zu widersprechen und wenn nötig Widerstand zu leisten. Meine Eltern waren mit Hildegard Hamm-Brücher befreundet und wir haben unter anderem einen Abend organisiert, wo die Politikerin meinen jugendlichen Freundinnen und Freunden in beeindruckender Weise ins Gewissen geredet hat.

Seit dem Aufkommen von Pegida und der AfD bekommen nun solche Argumente neue Nahrung, dass Deutschland bedroht sei durch die „Masseneinwanderung“. Der Islam wird aufgrund einer seiner Ausprägungen pauschal als terroristische Ideologie gebrandmarkt. Und die Armut und Perspektivlosigkeit vieler Menschen in unserem Land wird unmittelbar mit der Anwesenheit der Geflüchteten in Verbindung gebracht.

Der Hass, der dadurch geschürt wird, entlädt sich verbal auf Demonstrationen und in unendlich vielen und teilweise abstoßenden Kommentaren. Und natürlich führt der Hass längst auch immer öfter zu handfester Gewalt. Auch wenn sie nur von einer Minderheit so geschürt wird, treibt diese aufgeheizte Stimmung trotzdem die gesamte Gesellschaft vor sich her. Und manche Parteien meinen, sie müssten sich diesen Meinungen annähern, um deren Vertreterinnen und Vertreter als Wähler zurückzugewinnen. Offensichtlich merken diese sich Anbiedernden nicht, dass sie die wirren Argumente dadurch indirekt adeln.

All das hat Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts so auch funktioniert: Die Muster der Argumentation, die Stimmungsmache, die Angst und Hilflosigkeit der etablierten Parteien. Die Parallelen sind so verblüffend wie erschreckend.

Und eine weitere kommt nun dazu: Es schleichen sich auch immer öfter Intellektuelle auf die Seite der Brandstifter. Ihr angeblich schlagendes Argument: In Deutschland gebe es eine linke Gesinnungsdiktatur, die eine ehrliche Debatte verhindere und alles, was gegen Flüchtlinge gesagt werde, mit Nazivergleichen belege. Der Auftritt des Romanschriftstellers Uwe Tellkamp und die sogenannte „Erklärung 2018“ – und mehr noch die Debatte über beides – offenbaren, wie geschichtsvergessen auch solche sind, die es besser wissen sollten.

Zumal sich mit dem Argument des Widerstands gegen das System, die Gesinnungsdiktatur und  das Establishment offenbar gut ausblenden lässt, welch brandstiftende Wirkung die eigene Rede hat. Und es soll natürlich gegen solche Kritik wie diese hier immunisieren. Aber wenn es die neuen Rechten tatsächlich schaffen, den Vergleich mit Rhetorik, Verhalten und Strategie der alten Nationalsozialisten, als unanständiges Argument zu desavouieren, dann werden die warnenden Worte der vorigen Generationen erstickt und die Geschichte droht sich tatsächlich zu wiederholen – jedenfalls was die Vergiftung der Stimmung und die Mitmenschlichkeit der Gesellschaft angeht.

Darum ist mir wirklich bange.

Eine gute Analyse der „Erklärung 2018“
https://www.ndr.de/kultur/Wie-brisant-ist-die-Erklaerung-2018,erklaerung114.html

Ein Kommentar zu Uwe Tellkamps Auftritt im Dresdner Kulturpalast:
https://www.tagesspiegel.de/kultur/die-rechten-und-die-meinungsfreiheit-tellkamp-kann-nicht-nur-applaus-erwarten/21061574.html

Die Diskussion zwischen Uwe Tellkamp und Durs Grünbein auf Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=4X4ArZAcmbg

Die Autorin Monika Maron beklagt mangelnde Meinungsfreiheit:
https://www.tagesspiegel.de/politik/tellkamp-debatte-monika-maron-nimmt-uwe-tellkamp-in-schutz/21075434.html