Verrohung beginnt mit Sprache

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim

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Von einer „Verrohung unserer Gesellschaft“ sprach der frühere Innenminister Thomas de Maizière im Zusammenhang mit zunehmend gewalttätiger Kriminalität bei gleichzeitig sinkender Zahl von Straftaten. Das war vor einem Jahr. In diesem Jahr stand mit der Echo-Preisverleihung an die Rapper Kollegah und Farid Bang die Verrohung der Sprache im Vordergrund.

Seit Jahren beklagen Lehrerinnen und Lehrer, dass sich auf den Schulhöfen eine zunehmende Aggressivität der Sprache breit macht. Schon in der Grundschule verwenden Kinder Hassparolen und beschimpfen sich mit Ausdrücken, die rassistisch und menschenverachtend sind. Von Erwachsenen größtenteils unbemerkt ist die sexistische, brutale und gewaltverherrlichende Sprache der Rap-Musik zur Normalsprache sehr vieler Jugendlicher geworden. Über die sozialen Medien und das Internet verbreitet sich diese Antikultur mit ungeheurer Geschwindigkeit. Ihr Hauptsinn und -inhalt ist Tabubruch und die Ablehnung aller Institutionen. Sie verbreitet Hass, Feindschaft und Verachtung, und vermischt sich gerne mit Rassismus, Antisemitismus, Frauenverachtung und Nationalismus.

Aus dieser Antikultur erwächst unschwer die Haltung, die zur Beleidigung, Beschimpfung und schließlich zu tätlichen Angriffen gegen Polizisten, Lehrer, Politiker und andere Vertreter der gesellschaftlichen Ordnung führt. Dieses Phänomen ist aber nur die eine Seite der Verrohung unserer Gesellschaft.

Es gibt auch die andere Seite und die hat etwas mit dem schwindenden Rechtsempfinden des Gesetzgebers zu tun. Es ist beunruhigend, dass im politischen Diskurs die Achtung vor der Menschenwürde besonders von Migranten an Bedeutung verliert. Auch das stellt eine Verrohung unserer Gesellschaft dar, dass Politiker lauthals die Abschiebung von Geflüchteten fordern, auch wenn sie rechtlich (noch) nicht durchsetzbar ist. Auch das stellt Verrohung dar, dass abgelehnte Asylbewerber bei Nacht und Nebel abgeholt und von Polizisten zu Flughäfen verschleppt werden. Diese Verrohung, die eines Rechtsstaats unwürdig ist, ist seit zwei Jahren per Bundesgesetz vorgeschrieben. Der Termin der Abschiebung darf dem Ausländer laut Gesetz nicht einmal angekündigt werden.

In eine ähnliche Richtung entwickeln sich die Polizeigesetze der Bundesländer, die dem Vorbild Bayerns folgend, schon die „drohende Gefahr“ als ausreichenden Grund für weitreichende Polizeiaktionen einführen. Die elektronische Überwachung an allen Orten und die Kontrolle aller Daten fördert diese Entwicklung. Auch damit verroht unsere Gesellschaft, dass sie zuerst „Gefährder“ jagt und dann jeden zum potentiellen „Gefährder“ macht, anstatt sich auf die Verfolgung, Verhaftung und Bestrafung von Tätern zu beschränken. Mit sprachlichen Exzessen bereiten Rapper aber auch Politiker den Weg. Die Verrohung der Gesellschaft beginnt mit der Sprache.


Paul Oppenheim