Das Ende der Nationen

Einspruch! - Mittwochs-Kolumne von Georg Rieger


Foto: Georg Rieger

Dem wieder aufkeimenden Nationalismus muss theologisch etwas entgegen gesetzt werden.

In meiner letzten Predigt musste ich über zwei Visionen des Sacharja (Sach 2, 1-9) reden, in denen der Prophet das neue Jerusalem und die Zerstreuung der bedrohenden Mächte (Hörner) ansagt. Meine Interpretation lief darauf hinaus, dass Gott sich eine offene Gesellschaft ohne nationale und territoriale Ansprüche wünscht. Eine grenzenlose Weltordnung sozusagen.

Das ist zugegebenermaßen gewagt. Schließlich geht es Sacharja auch um die wieder zu gewinnende Identität Israels und die Rückkehr der Verschleppten in das – inzwischen anderweitig bevölkerte – Land ihrer Mütter und Väter, naja eher Urgroßmütter und Urgroßväter.

Tatsächlich ruft Sacharja die Israeliten nicht zur Vertreibung der Menschen (und Tiere!) aus Jerusalem auf, sondern bürdet den Rückkehrern auf, sich in die heilige Stadt zu integrieren. Soweit der Prophet. Er hat seine gute Botschaft wahrscheinlich mit einem unnatürlichen Tod bezahlen müssen. Integration war eben schon damals kein beliebtes Thema.

Im Moment erwacht ja in manchen Menschen ein neues Nationalbewusstsein. Und selbst wenn dieses noch lange nicht so weit verbreitet und auch nicht so tiefgehend ist wie in anderen Ländern, ist es doch eine ernst zu nehmende Tendenz. Immer mehr Deutsche wollen das Schuldbewusstsein überwinden und wieder zu einem „normalen“ Nationalstolz zurückkehren.

Ein solches Ansinnen bleibt meistens entweder unwidersprochen oder es wird gleich der Nazi-Vorwurf erhoben. Dazwischen gibt es nicht viel. Keine ernsthafte Auseinandersetzung – weder politisch noch theologisch. Dabei wäre das angesichts der Flüchtlingsproblematik dringend nötig. Diese beginnt ja eine Dimension der Völkerwanderung anzunehmen und wird wohl auf den Syrien-Konflikt nicht beschränkt bleiben.

Während die einen humanitäre Gründe und wirtschaftliche Verantwortung anführen, um ihre Offenheit und Hilfsbereitschaft zu begründen, halten andere dagegen, dass die deutsche Identität und die deutsche Kultur erhalten werden muss. Selbst Angela Merkel verwahrte sich jüngst wieder gegen eine Multi-Kulti-Gesellschaft.

Wir Christen müssen erleben, dass unsere Religion (und hier ist der Begriff wohl tatsächlich der passende) zu einem tragenden Element einer deutschen Leitkultur ernannt wird. Spätestens da wäre doch Anlass nachzudenken. Wie steht eigentlich unser Glaube zur nationalen Identität? Wie national (und regional) ist unser Kirchenwesen? Und ist das nur organisatorisch begründet oder hat es doch auch Züge einer Abschottung?

Es geht nicht darum – nicht in der Politik und nicht in der Kirche – von heute auf morgen, alles Bestehende einzureißen. Sicherheit und Identität sind schon ernstzunehmende Bedürfnisse und sinnvolle Argumente. Doch es fehlt in dieser Frage ganz offensichtlich eine Perspektive – ein prophetischer Impuls: Es kann doch im Hinblick auf Gottes Offenheit mit uns immer nur in die Richtung gehen, dass wir Menschen uns offener untereinander begegnen, oder?

Wir Menschen brauchen auch Grenzen und Regeln und übersichtliche Einheiten, in denen wir leben. Die Globalisierung bietet im Moment noch keine Sicherheit und Identität, sondern produziert Ungerechtigkeit und schürt Ängste. Aber Nationalismus ist die Antwort der Vergangenheit auf die Herausforderungen der Zukunft. Und Nationalstolz und eine Leitkultur ist definitiv nicht das, was uns Gott durch seine Güte uns gegenüber aufträgt, in die Welt zu tragen.

Ich glaube, da steht uns eine spannende Diskussion ins Haus.

Georg Rieger