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Das unverschämte Glück der Volkskirche
Mittwochs-Kolumne. Von Paul Oppenheim
Da steht also vor uns der „Jahrgang“. Und mancher erinnert sich, dass früher ein Jahrgang viel größer war. „Wir waren über vierzig“ flüstert mir meine Nachbarin in der Kirche zu.
Ich zähle sechzehn Jugendliche, mehr Jungen als Mädchen. Vor zwei Wochen waren es in einer anderen Stadt zufällig auch sechszehn aber der Anteil der Mädchen war größer. Mir fällt auf, dass sie wieder so aussehen wie früher mit ihren Anzügen und Krawatten, ihren weißen Blusen, dunklen Röcken, ordentlichen Frisuren. Die Zeit der Miniröcke und Jeans ist anscheinend vorbei.
Es gibt viele Lieder auf dem Programm, die Klassiker und auch neuere Kompositionen, aber im Kirchenschiff singen nur wenige mit. Auch beim Glaubensbekenntnis bewegen sich nur vereinzelte Lippen. (Warum hat man den Text des Bekenntnisses eigentlich nicht im Programm abgedruckt?). Das tut der Stimmung aber keinen Abbruch. Ich bin geneigt mich zu fragen, ob die Konfirmation überhaupt etwas mit dem Glauben zu tun hat. Schließlich erfreut sich auch die entkirchlichte Variante großer Beliebtheit, vor allem in den östlichen Landesteilen.
Vieles ist bizarr an diesem Fest und doch möchte ich es als das unverschämte Glück der westdeutschen Volkskirche bezeichnen, dass es die Konfirmation in dieser Form überhaupt noch gibt!
Annähernd eine Viertelmillion junger Menschen werden - laut EKD-Statistik - in diesem Jahr konfirmiert, mehr als im letzten Jahr getauft wurden. Damit sind wir zusammen mit den skandinavischen Volkskirchen Weltspitze. Kaum ein anderes Land kann auf eine solche Akzeptanz nicht nur der Konfirmation, sondern vor allem des vorbereitenden Unterrichts verweisen. In Schweden sind die Konfirmandenzahlen zwar prozentual höher, aber die Vorbereitung besteht dort im Wesentlichen aus einer ausgedehnten Sommerfreizeit. Kein Vergleich mit dem ein- bis zweijährigen Unterricht bei uns.
Es ist schwer zu begreifen, weshalb sich die Konfirmation in Deutschland so gut gehalten hat, während sie in vielen anderen Ländern längst zur Ausnahmeerscheinung geworden ist. Es gibt für dieses Ritual kaum eine theologische Begründung. Selbst die Zulassung zum Abendmahl hängt nicht mehr von der Konfirmation ab und dennoch gibt es sie noch immer als Lebensäußerung der so oft totgesagten Volkskirche.
Dieser glückliche Umstand sollte Ansporn sein, die personellen Ressourcen der Gemeinden noch stärker auf die Zielgruppe der Konfirmandinnen und Konfirmanden zu fokussieren und zu fragen, wie Gemeindeaufbau von dieser Zielgruppe her gedacht werden könnte. Gewiss keine einfache Aufgabe, wenn es stimmt, dass sich diese Altersgruppe kaum für religiöse Fragen interessiert, wie es uns die neueste EKD-Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung nahelegt (Siehe: „Engagement und Indifferenz - Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis“, V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, 2014).
Ich frage mich, ob 13-oder 14-Jährige einem „normalen“ Sonntagsgottesdienst überhaupt folgen, geschweige denn ihn interessant, anregend oder unterhaltsam finden können? Welche Rolle müssten Smartphone und Tablett, Facebook, Twitter oder YouTube im Gottesdienst spielen? Welche Themen und Erfahrungen müssten vorkommen? Sollte die „BasisBibel“ die Zürcher- oder Lutherbibel ersetzen? Und gibt es so etwas wie „die richtige Musik“ für diese Generation?
Noch haben wir das Glück, sie selber fragen zu können, aber wie lange noch?
Paul Oppenheim, Mai 2015