Glyphosat und der Menschenverstand

Mittwochs-Kolumne von Paul Oppenheim


Giftige Pflanzenkost: für Paul Oppenheim keine Überraschung (Symbolfoto) © Pixabay

Auf meiner Hochhausterasse mitten in der Großstadt tummeln sich allerlei Lebewesen, sogar Libellen und Bienen. Unkraut zwischen den Betonsteinplatten und auf Hochbeeten entfernen meine Frau und ich per Hand. Wir verwenden weder Glyphosat noch irgendwelche anderen Chemikalien. Ich unterstelle jedem Mittel, das Pflanzen oder Insekten tötet, dass es über kurz oder lang auch für Menschen schädlich sein muss. Als die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ einstufte, regte es mich nicht besonders auf, weil ich von einem Unkrautvernichtungsmittel nichts anderes erwarte.

Die IARC warnt auch vor übertriebenem Fleischverzehr, weil Rinder- oder Schweinefleisch „wahrscheinlich krebserregend“ seien, wenn auch viel harmloser als Wurstwaren, die „erwiesenermaßen Krebs verursachen“. Aber dann kam der große Aufschrei um Christian Schmidts Abstimmungsverhalten in Brüssel. Der Landwirtschaftsminister, der sich selbst als „evangelisch nüchtern“ bezeichnet, hatte im Alleingang für die weitere Genehmigung von Glyphosat auf EU-Ebene gestimmt. Die Empörung war riesengroß.

Plötzlich trat die Biodiversität in den Vordergrund. Glyphosat töte alle ungewollten Pflanzen und gefährde damit die Pflanzen- und Tiervielfalt. Das „Totalherbizid“ Glyphosat sei besonders effektiv, vor allem beim Anbau der in Deutschland verbotenen gentechnisch veränderter Pflanzen. Sie seien nämlich glyphosatresistent. Es gibt also einleuchtende Gründe gegen Glyphosat zu sein, aber gelten diese Argument nicht gegen alle synthetisch hergestellten Unkrautvernichter?

Und was ist nun mit der Krebsgefahr?

Nach der Prüfung von ca. 1.500 wissenschaftlichen Publikationen ist das deutsche Institut für Risikobewertung (BfR) zu dem Schluss gekommen, dass von Glyphosat „bei sachgemäßer Anwendung“ keine besondere Gesundheitsgefährdung für den Menschen ausgehe. Auch die entsprechenden europäischen und ausländischen Behörden stimmen darin überein, dass es keinen Beleg für Krebsgefahr im Zusammenhang mit Glyphosat gäbe. Darauf behauptet der Landwirtschaftsminister sich verlassen zu haben.

Es stimmt, dass uns die EU noch nicht den Wurstkonsum verboten hat und dass auch Vegetarier und Veganer nicht unsterblich sind, aber jede und jeder kann selbst bestimmen, wie oft sie oder er ein Schnitzel oder eine Bratwurst isst. Niemand kann sich aber dagegen wehren, dass es in Wurst und Fleisch nachweislich Spuren von Glyphosat gibt, wie auch in jedem Glas Bier und schließlich im eigenen Urin. Politiker sollten an dieser Stelle dem gesunden Menschenverstand folgen, der besagt, dass alles, was Pflanzen oder Insekten tötet, über kurz oder lang auch für den Menschen schädlich ist.


Paul Oppenheim