Mein Organ, dein Organ

Notat to go - Barbara Schenck


Modell eines menschlichen Herzens bei der Langen Nacht der Wissenschaften 2012 im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Berlin; ccFoto: Sebastian Wallroth

Ein paar Zeilen unter den Meldungen „In Kürze“, mehr ist in diesem Januar nicht drin zur Veröffentlichung eines Appells des Bundesgesundheitsministers. Im Todesfall sollten Bürgerinnen und Bürger zur Organspende bereit sein:

„Organspenden können Leben retten, jeder kann durch einen Unfall oder eine schwere Krankheit schon morgen in die Lage kommen, auf ein Spenderorgan angewiesen zu sein“, so Minister Gröhe letzte Woche.

Im Jahr 2014 hat die Zahl der Organspender einen neuen Tiefstand erreicht. Für die 10.585* Patienten, die in Deutschland auf ein Spenderorgan warten, eine bedrückende Nachricht.

Wird der Aufruf des Ministers etwas nützen? Welchen Anstoß braucht es, sich für einen Organspenderausweis zu entscheiden? Bei mir wirkte vor zwei Jahren ein moralischer Vorwurf: Wer nicht bereit sei, im Todesfall eine Organ zu spenden, solle – selbst in Not – auch keinen Anspruch erheben, eins zu bekommen - auch nicht für das eigene Kind! Das saß.
Mit etwas Abstand behagt mir dieses Argument nicht mehr. Es ist so moralinsauer und irgendwie schwingt der Gedanke mit, Leben gegen Leben aufzuwiegen. Das geht doch nicht. Es gibt eben Menschen, die sind stärker, beim Nachdenken über den eigenen Tod und was sie anderen Gutes tun könnten, als andere. Das entlässt die „Starken“ doch nicht aus der Verantwortung für das Wohlergehen der „Schwachen“. Und was kann ein Kind dafür, wenn Eltern selbst nicht bereit sind, einen Organspenderausweis auszufüllen. Für den Warteplatz auf der Liste derer, die ein Spenderorgan brauchen, entscheiden selbstverständlich andere, medizinische Kriterien.
„Der Organspenderausweis und die Haltung zur Organspende taugen grundsätzlich nicht für einen MoralitätsCheck“, sagt der Theologe Frank Mathwig.

Wer gibt?

Heute berührt mich ein theologischer Gedanke als Wort pro Organspende. „Wer ist es eigentlich, die oder der gibt?“, fragt Mathwig.
Im Spenderausweis steht mein Name. Das hat juristische Gründe und schützt andere davor, als Organspender wider Willen instrumentalisiert zu werden. Aber sobald mein Herz einer fremden Person transplantiert wird, verliert es seine „Herkunftsadresse“. Das gespendete Organ ist eine Gabe ohne Absender. Jetzt legt die „fremde Person“ ihre Hand auf ihre linke Brust und fühlt ihr Herz schlagen.

Radikale ökonomische Kritik der Besitzverhältnisse

Die Transplantationsmedizin beinhalte „eine radikale ökonomische Kritik der Besitzverhältnisse“, so Mathwig und so der Heidelberger Katechismus, wenn er sagt, mit Leib und Seele gehöre ich nicht mir, sondern meinem Heiland Jesus Christus.
Sollte es also Gott selbst sein, „der gibt, was in mir ist, aber ich nicht bin und mir nicht gehört“?

*Stichtag 1. Januar 2015.

Literatur
Mathwig, Frank, Der Leib als Gabe – die Gabe des Leibes Theologisch-ethische Überlegungen zur Transplantationsmedizin. Vortrag anlässlich der Gemeindeabende 2014 der Kirchgemeinde Melchnau ‹An der Grenze des Lebens›, Melchnau 19. November 2014; online: http://www.kirchenbund.ch/sites/default/files/media/pdf/mitarbeiter/Mathwig/mathwig_der_leib_als_gabe.pdf

Prof. Dr. Frank Mathwig ist Beauftragter für Theologie und Ethik beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK): www.kirchenbund.ch/de/mitarbeiter/prof-dr-theol-frank-mathwig.
Er lehrt Ethik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern: www.theol.unibe.ch/systheol/content/ueber_uns/mitarbeitende/prof_dr_frank_mathwig/index_ger.html.

Barbara Schenck, 28. Januar 2015