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Nach Christi Geburt
Mittwochs-Kolumne - Paul Oppenheim
Heiligabend gehen wir mit der Familie gut gelaunt in die Kirche. Die Predigt beginnt mit dem Ausspruch einer älteren Dame, die mit den Worten zitiert wird: „Es war noch nie so schlimm wie heute!“. Am ersten Weihnachtstag wird in der Rundfunkpredigt alles Unglück dieser Welt sehr eindringlich geschildert und in dem Satz resümiert: „Die Welt ist aus den Fugen geraten!“. Auch zur Gattung der Weihnachtspredigt gehört es, die Finsternis der Welt in den dunkelsten Farben zu zeichnen. Nicht immer gelingt es, danach den „neuen Schein“ (EG 23,3) so hell aufleuchten zu lassen, dass“ das Herze fröhlich springen“ (EG 36,1) möchte.
Am zweiten Weihnachtstag singen wir dann lautstark und fröhlich alle vier Strophen von „Es ist ein Ros entsprungen“ (EG 30) und die selten gesungene letzte Strophe will mir nicht mehr aus dem Ohr: „O Jesu, bis zum Scheiden aus diesem Jammertal …“
Etwas in mir rebelliert in diesem Jahr dagegen, dass ich mich im Jammertal befinden soll. Ich reagiere allergisch auf Schwarzmalerei. Mein Sohn versteht die Welt nicht mehr: „Papa, was ist mit dir los? Du warst doch noch nie so…positiv!“. Ich muss zugeben, dass es sich ungewohnt anfühlt, zufrieden und hoffnungsvoll zu sein.
Zwischen den Jahren kommt für mich die Erlösung, die Erklärung für meinen Optimismus: Ich bin einfach im Trend! So steht es in der Tageszeitung gleich auf der ersten Seite: „Trotz vieler Krisen rundherum blicken die Deutschen optimistisch ins Jahr 2015“. „Deutsche so optimistisch wie lange nicht mehr“ titelt auch „Die Welt“ und ich bin dabei! Laut einer Umfrage sollen im Blick aufs neue Jahr 45% der Deutschen optimistisch und nur 27% pessimistisch eingestellt sein, und bei der deutschen Jugend sind es gar 87%, die eine positive Einstellung zum Leben haben.
Vielleicht gibt es dafür auch Gründe. Wer hätte geglaubt, dass hierzulande die Zahl der Arbeitslosen soweit sinken würde, dass die Krankenkassen Überschüsse machen oder dass die Kirchensteuern -trotz vermehrter Kirchenaustritte- steigen würden? „Geld macht doch glücklich“ heißt eine Überschrift in der Hannoverschen Allgemeinden Zeitung. Aber abgesehen vom eigenen Wohlstand lohnt auch ein Blick in die Ferne. Erinnern Sie sich an die sogenannten Millenniums-Entwicklungsziele, die im September 2000 formuliert wurden? In ihrer „Millenniums-Erklärung“ hatten sich damals die Vereinten Nationen, die Weltbank und andere Weltorganisationen acht Ziele, darunter die Halbierung extremer Armut und der Unterernährung bis zum Jahr 2015 vorgenommen.
Tatsächlich gibt es riesige Erfolge bei der Bekämpfung des Hungers und der Armut und auch eindrucksvolle Fortschritte bei der Gesundheitsfürsorge und Beschulung von Kindern. Es gibt auch Rückschläge. Die Zahl der Flüchtlinge hat sich mehr als verdreifacht. Nicht alles ist rosig und nicht alle Ziele werden 2015 erreicht sein, aber insgesamt fällt die Bilanz weit positiver aus, als man zur Jahrtausendwende zu hoffen wagte. So konnte die Malaria-Sterblichkeit erheblich reduziert werden. Über 3 Millionen Menschenleben –vor allem von Kindern unter 5 Jahren-, konnten innerhalb von 10 Jahren gerettet werden. Unsere Medien berichten viel über die schreckliche Ebola-Epidemie, die bisher etwa 7 bis 8.000 Menschen getötet hat. Viel seltener lesen oder hören wir etwas über die Malaria, der allein im letzten Jahr 660.000 Menschen zum Opfergefallen sind. Vor zehn Jahren waren es allerdings noch mehr als doppelt so viele!
Trotz vieler Rückschläge, neuer Probleme und Herausforderungen wird also nicht alles auf der Erde schlimmer, Manches wird sogar besser. Man darf auch als kritischer Mensch davon überzeugt sein, nicht weil es im Trend liegt, sondern wir in nachweihnachtlicher Zeit leben. Mit der Geburt Jesu ist etwas geschehen, was die Welt zum Besseren verändern kann und soll. Viele Menschen arbeiten in der Nachfolge Jesu an dieser Veränderung. Nicht umsonst zählen wir die Jahre nach Christi Geburt und singen: „Welt ging verloren, Christ ist geboren, Freue dich, o Christenheit“ (EG 44,1).
Paul Oppenheim, 7. Januar 2015