Schwarzbuch „Eine Welt“

Mittwochs-Kolumne. Von Paul Oppenheim


EKD-Magazin für das Themenjahr "Reformation und Eine Welt"

Auf tiefschwarzem Hintergrund erkenne ich in Umrissen den Planeten Erde, der mir finster und bedrohlich aus dem Weltall entgegenkommt. Am äußersten Rand der Weltkugel leuchtet ein bizarres Licht auf.

Das äußere Erscheinungsbild des EKD-Magazins zum Themenjahr „Reformation und die Eine Welt“ lässt die „Eine Welt“ als etwas Unheimliches erscheinen. Der extraterrestrische Blick auf den Planeten ist Sinnbild für ein Verständnis der „Einen Welt“ als das, wozu man selber nicht wirklich gehört. Es erinnert mich an den „Eine-Welt Laden“, in dem ich Kunsthandwerk aus fernen Ländern kaufen kann, aber „Made in Germany“ vergeblich suchen werde.

Der entwicklungspolitische Begriff „Eine Welt“ hat im deutschen Sprachraum die Redeweise von der „ersten“, “zweiten“, „dritten“ bzw. „vierten Welt“ abgelöst. Auf English und außerhalb Deutschlands assoziiert man mit „One World“ primär jenen Verbund von Fluggesellschaften, der mit der Star Alliance konkurriert.  Das Trügerische am Modebegriff  „Eine Welt“ ist, dass er Harmonie, Verbundenheit und Eintracht suggeriert, aber genau das Gegenteil bezeichnet. So steht „Eine Welt“ dafür, dass Pluralität und sogar Gegensätzlichkeit nicht nur das Wesen der Weltgesellschaft ausmachen, sondern auch immer mehr zu Wesenszügen unserer eigenen Gesellschaft geworden sind.

Die Frage, die das Themenheft für mich aufwirft, ist die, ob der deutsche Protestantismus in dieser „Einen Welt“ überhaupt schon angekommen ist oder ob er nicht in einer Art splendid isolation noch abseits von Globalisierung und Internationalisierung steht. Begreifen die evangelischen Kirchen in Deutschland, was es bedeutet, sich auf diese bunte, widersprüchliche, vielsprachige, spannungsreiche, multikulturelle, multireligiöse Realität der „Einen Welt“ einzulassen? Wie lässt unsere Kirche das Globale an sich heran? Wo sind wir als evangelische Christen in Deutschland internationaler geworden?

In seinem Beitrag „Evangelische Theologie International?“ (S. 38f) greift der reformierte Theologe Martin Laube diese Fragestellung auf. Er kommt zu dem Schluss, dass es der deutschen Theologie an einer internationalen Orientierung fehlt. Dasselbe gilt übrigens auch auch für unser Gesangbuch, für unsere Agende und die Perikopenordnung.

Das EKD-Magazin zum Themenjahr 2016 zeugt von allerlei Suchbewegungen und aufrichtigen Bemühungen des deutschen Protestantismus, sich der „Einen Welt“ anzunähern und die Tore weit zu machen (S.54f.), aber noch – so muss man feststellen – ist sie fern von uns. Der Beitrag der Frankfurter Flughafenseelsorgerin (S.88f.) macht deutlich, wie man nah dran sein kann, ohne dazu zu gehören. Der frühere schwedische Erzbischof Anders Wejryd mahnt daher zu Recht: „Die Begegnungen und der Austausch zwischen den Kirchen [müssen] auf allen Ebenen verstärkt werden, sie müssen unsere Gemeinden, den einzelnen Menschen, berühren.  Solche Begegnungen bedeuten ernsthafte Arbeit, sie sind keine Vergnügungsreisen!“ (S. 25).

Besonders erhellend ist das Interview mit dem tansanischen Theologen Fidon Mwombeki (S.60-62), der seit 2009 dem Rat der EKD angehört und von seinen Erfahrungen berichtet: „Wenn ich auf der Straße bin, im Supermarkt, im Zug.- überall sehe ich viele verschiedene Gesichter und Hautfarben, aber nicht in der Kirche… Wenn unsere Kirchen Volkskirchen sein wollen, dann müssen sie doch das Volk wiederspiegeln, das heute hier lebt, aber das ist nicht der Fall.“ Vielleicht bietet uns aber die Masseneinwanderung der letzten Wochen in dieser Hinsicht eine zweite Chance.

Während des Themenjahres „Reformation und die Eine Welt“ findet im September 2016 der Gospelkirchentag in Braunschweig statt. Das wäre ein guter Anlass darüber nachzudenken, warum die sogenannten „Gospelchöre“ wie Pilze aus dem Boden schießen, warum Menschen hierzulande so gerne auf Englisch oder Spanisch singen und zu afrikanischen Rhythmen klatschen und tanzen. Welche Frömmigkeit kommt in diesen Liedern zum Ausdruck? Kommt so die „Eine Welt“ zu uns und vielleicht eine neue Reformation?

Paul Oppenheim, Hannover, 14. Oktober 2015