Hinterher ist man klüger - mit dem Herzen

Andacht zum Russland-Ukraine-Konflikt von Kathrin Oxen

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Der Frieden war einfach da. Man konnte sich auf ihn verlassen. Wie leichtsinnig zu glauben, das würde immer so bleiben.

Mit dem Frieden ist es wie mit einem geliebten Menschen. Erst, wenn er nicht mehr da ist, weiß man, wie sehr man ihn vermisst. „Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht“ – das ist einer der häufig zitierten Sätze in diesen Tagen. Und wer jemanden verloren hat oder jemanden vermisst, dem geht es doch genauso. Dieser kurze Moment morgens, zwischen dem Schlafen und dem Wachwerden, in dem noch alles ist, wie es immer war. Bevor die Realität wieder da ist und dieses „Da war doch was - ach ja“ mit dir aufsteht und dir um die Beine streicht den ganzen Tag, wie eine hungrige Katze.

Mit dem Frieden ist das genauso. Er war einfach da. Ich konnte mich immer auf ihn verlassen. Wie leichtsinnig zu glauben, das würde immer so bleiben. Keinen größeren Gedanken habe ich vor dem 24. Februar 2022 an die Ukraine verschwendet. Doch, meine Haushaltshilfe kommt von dort, aber da sie nicht viel deutsch spricht und ich nicht viel russisch, ist es im Wesentlichen bei einer groben geographischen Orientierung geblieben. Dass man dort außerdem gar nicht russisch spricht, sondern ukrainisch, habe ich nicht gewusst. Und das schon die Annexion der Krim 2014 uns alle auf Demonstrationen hätte schicken müssen, so groß wie die vom vergangenen Sonntag - das weiß ich auch erst jetzt.

Dieses ewige „Hinterher ist man klüger“, das uns jetzt allen so lästig um die Beine streicht. Ja, hinterher ist man klüger. Mit dem Kopf, aber vor allem doch mit dem Herzen. Wenn jemand nicht mehr da ist, den du liebst. Wenn der Frieden nicht mehr da ist, in dem du lebst. Und du deinen Kindern erklären musst, was ein Krieg ist und ihnen sagen möchtest, dass sie keine Angst zu haben brauchen. Während die Angst dir selbst um die Beine streicht und dich bis ins Badezimmer verfolgt, an einen der wenigen Orte, wo du mit deinen Sorgen allein sein kannst.

„Man darf die Bedrohung nicht zu dicht an sich heranlassen“ rät der Psychologe in der Zeitung auf meinem Frühstückstisch. Aber die Bedrohung ist ja da, sie steht mit uns auf und geht mit uns schlafen. „Empathie darf nicht zu weit gehen“, das rät der Psychologe auch. Was soll das denn für ein Rat sein? Ich schmiere morgens ein Schulbrot und denke an die Mütter in Kyiv, die das nicht mehr tun können, weil es weder Brot noch Schule gibt oder sie gerade irgendwo eine Grenze Richtung Westen überqueren mit zwei Kindern, drei Koffern und einem Rucksack und ohne ihren Mann und Vater. Ich denke sogar an die Katzen, die jetzt in den Dörfern und Städten um die Häuser streichen und die niemand mehr füttert.

Und ich denke: Nein, Psychologe, Empathie kann gar nicht weit genug gehen. Damit wir spüren, was uns fehlen würde, wäre der Frieden nicht mehr da. Damit wir spüren, was wir zu verteidigen haben und dass wir darum kämpfen müssen. Rede mir die Angst bloß nicht aus. Und deswegen mag ich Jesus lieber als alle Psychologen. Denn er sagt: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Die Angst ist da. Sie macht uns wach. Wie man all das überwindet, die Angst und die Welt, das hat uns Jesus gezeigt. Wie man dafür kämpft, aber ohne Waffen und vorher. Vor allem vorher. Denn wie mit einem geliebten Menschen ist es mit dem Frieden.


Kathrin Oxen