Ausnützen von Seelsorge- und Abhängigkeitsverhältnissen

EKiBa: Einblick in die Untiefen der Ermöglichung von sexualisierter Gewalt

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Während der ersten Plenarsitzung ihrer Herbsttagung hat sich die badische Landessynode unter anderem mit einer historischen Einzelfallstudie zum Thema sexualisierte Gewalt beschäftigt.

Ute Gause vom Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Ruhr-Universität Bochum stellte vor der Landessynode Ergebnisse ihrer Studie vor. In ihrem Vortrag „Sexueller und spiritueller Missbrauch im Spannungsfeld von individueller Schuld und institutioneller Ignoranz“ gab sie Einblicke in den Fall eines wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Pfarrers.

In der von der badischen Landeskirche beauftragten Studie, die unter anderem auf dem Auswerten von Akten und Protokollen, aber auch auf Interviews mit Betroffenen und anderen Zeitzeugen basiert, sollte „das Ermöglichungsgefüge für den Missbrauch untersucht werden“, so Gause. „Es geht um die Aufdeckung der Zusammenhänge zwischen Macht und Charisma des Pfarramts, einer entsprechenden Theologie und der sexuellen Gewalt“, erläuterte Gause. „Auch wenn die meisten Vorfälle nicht justitiabel waren, zeigen sie doch ein Verhalten einer Amts- und Vertrauensperson, die ihren Status missbraucht hat und das Ausnützen von Seelsorge- und Abhängigkeitsverhältnissen.“ 

Ein Pfarrer habe über Jahrzehnte ein nach gängigen evangelischen Maßstäben übergriffiges und unethisches Beziehungs- und Sexualverhalten an den Tag gelegt, das als sexualisierte Gewalt bezeichnet werden müsse, ohne dass seitens der Landeskirche interveniert wurde, sagte Gause. Die sexuellen Nötigungen, derentwegen er schließlich verurteilt worden sei, stellten das letzte Glied einer langen Kette von Übergriffen, Verhältnissen und Affären dar.

„Eine geistliche Institution, wie die Kirche, die sich hohen moralischen Ansprüchen verpflichtet weiß, hat – so ist zu konstatieren – beim Schutz ihrer Mitglieder mehrfach versagt. Die Strukturen einer machtvollen Amtshierarchie, Habitus des Pfarrers und charismatischer Frömmigkeit erzeugten Autorität, an deren Nimbus berechtigte Vorwürfe lange abprallten“, wirft Gause der evangelischen Kirche vor.

„Bisherige Untersuchungen zu Missbrauchsfällen und den dahinterstehenden Systemen lassen meist den Aspekt der Theologie und Frömmigkeit des Täters außer Acht. Hier eröffnet sich jedoch das bis jetzt wenig erforschte Feld des ‚spirituellen Missbrauchs‘, in dem die Frage nach wiederkehrenden Strukturelementen aufgeworfen wird.“ Gause betonte, dass auf der einen Seite rigide Frömmigkeitsstrukturen und enge theologische Konzepte, auf der anderen Seite betont liberale und alternative Strömungen künftig mehr in den Blick genommen werden müssten. „Bei beiden Konzepten besteht die Gefahr der Konstruktion von Gegen- und Parallelwelten, die Menschen in Abhängigkeiten bringen, in denen sie manipuliert und ausgenutzt werden können.“
 
Gause konstatierte zum Ende ihres Vortrags, dass die evangelischen Kirchen bereits Konsequenzen gezogen hätten: „Das Pfarrer*innengesetz der EKD in seiner Fassung vom Februar 2021 enthält mittlerweile einen eigenen Paragrafen ‚Abstinenz- und Abstandsgebot‘ (§31b), der eine sexuelle Annäherung in jedem Fall – ganz unabhängig vom Alter der jeweiligen Person – untersagt.“

Landesbischöfin Heike Springhart zeigte sich angesichts der Studie betroffen: „Mit dieser Einzelstudie liegt das Dickicht beschämend und erschütternd vor Augen, das zeigt, dass auch in unserer Kirche der Umgang mit Übergriffen und sexualisierter Gewalt über lange Zeit von Versagen und Wegsehen geprägt war.“

Mit dem Vortrag von Gause habe die Landeskirche einen Einblick in die Untiefen der Ermöglichung von sexualisierter Gewalt bekommen. „Diese Studie hilft zu verstehen, wie komplex und in den Graubereichen angelegt sexualisierte Gewalt und der institutionelle Umgang damit ist. Aufarbeitung beginnt damit, dass wir alle uns diesem beschämenden Dickicht stellen. Dass wir uns die Vielschichtigkeit aus Amtsverständnis und theologischen Überzeugungen, aus institutionellem Versagen und – das ist das Schlimmste dabei – der immer neuen Verletzung der Betroffenen vor Augen führen.“

Synodalpräsident Axel Wermke betonte im Anschluss an den Vortrag: „Wir sind als Kirche dann glaubwürdig, wenn wir nicht die Institution in den Vordergrund stellen, sondern wenn wir unsere Aufmerksamkeit den Betroffenen schenken.“ Und er ergänzte: „Dafür müssen wir als Christen, gerade auch in verantwortlicher Position, an einer Kultur der Grenzachtung und einer gemeinsamen Haltung arbeiten und an einer grundlegenden Sensibilisierung für Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse in unserer Kirche.“

Wermke stellte fest, wie wichtig es angesichts der Studie sei, sich nicht nur auf den Schutz von Minderjährigen zu beschränken: „In der von uns beschlossenen Gewaltschutzrichtlinie ist festgehalten, dass der Schutz vor sexualisierter Gewalt nicht nur für Kinder und Jugendliche gilt, sondern dass wir alle Menschen in Abhängigkeitsverhältnissen, in der Seelsorge, in den unterschiedlichen Formen der Arbeits- und Ausbildungsverhältnissen vor sexualisierter Gewalt schützen und ihre Würde bewahren wollen.“

Die Landessynode der badischen Landeskirche tagt von Sonntag, 22. Oktober bis Donnerstag, 26. Oktober in Bad Herrenalb. Die Studie und die möglichen Konsequenzen daraus werden in den Ausschüssen der Landessynode weiter beraten.


Quelle: EKiBa