Wer ist der Größte?

Andacht über Mk 9,33-35 von Sylvia Bukowski, auf der Herbstsynode des Kirchenkreises Wuppertal


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''Wenn jemand will der erste sein, der soll der letzte sein von allen und aller Diener.' Das heißt: am wichtigsten ist, dass Eure Fähigkeiten und Erfahrungen dazu dienen, andere stark zu machen. Sie sollen in Eurer Gegenwart aufblühen und von Herzen sagen können: es tut mir gut, mit dir zusammenzusein! Oder: Wenn ich von dir weggehe bin ich 2 cm größer. Nach dieser Regel versuchen Sie sicher alle, in der Gemeinde zu arbeiten. Aber wie ist das im Umgang mit KollegInnen, wie ist das im Presbyterium und in anderen kirchlichen Gremien?''

33 Und sie kamen nach Kapernaum. Und als er daheim war, fragte er sie: Was habt ihr auf dem Weg verhandelt? 34  Sie aber schwiegen; denn sie hatten auf dem Weg miteinander verhandelt, wer der Größte sei. 35  Und er setzte sich und rief die Zwölf und sprach zu ihnen: Wenn jemand will der Erste sein, der soll der Letzte sein von allen und aller Diener. (Markus 9,33-35)

Darüber haben die Jünger Jesu hier gerade diskutiert und diese Frage nicht erst auf das „Himmelreich“ bezogen, wie bei Matthäus, sondern sie ganz irdisch und konkret auf das Jetzt verhandelt. Und die Frage nach der eigenen Wichtigkeit beschäftigt die Nachfolger Jesu, glaube ich, bis heute, obwohl es alle in der Regel genauso schamhaft verschweigen, wie die Jünger, wenn sie darauf angesprochen werden.

Es wäre schön, wenn ich als Frau jetzt sagen könnte: das gockelhafte Konkurrieren und sich Spreizen ist eben typisch Mann, während es unter uns Frauen ganz anders zugeht und da reine Schwesterlichkeit herrscht. Aber leider ist dem nicht so, genauso wenig wie in der Alltagsrealität Schwestern immer nur eitel Friede, und Sonnenschein verbindet. Der einzige Unterschied bei dem Kampf um einen möglichst hohes Renommee liegt im allgemeinen in der Wahl der Mittel: Während Männer ihre Konkurrenzkämpfe auch in der Kirche oft eher sportlich austragen mit langen und längeren Redebeiträgen, stolzen Erfolgsberichten und übervollen Terminkalendern, als Beleg dafür, wie gefragt sie sind, gehen wir Frauen es meist etwas zurückhaltender an und schöpfen aus einem scharf- bis giftigem Kritikpotential. Beide Methoden, sich vor anderen zu beweisen, können sich bei allen Beteiligten aber natürlich auch mischen...

Wer ist der /die größte? Wer ist am wichtigsten?

Wir vergleichen uns, messen uns, bewerten uns gegenseitig: manchmal mit unverhohlenem Überlegenheitsgefühl, aber ich glaube, viel öfter mit einer tief sitzenden Angst: der Angst, mit den offensichtlich erfolgreicheren, redegewandteren und beliebteren KollegInnen im Presbyterium oder im Pfarrkonvent nicht mithalten zu können und vielleicht insgesamt nicht gut genug zu sein. Manchmal empfinden wir es vielleicht auch als Kränkung, selbst nicht genügend anerkannt und gewürdigt zu werden. Allesamt bemühen wir uns jedenfalls oft, uns nicht zu sehr in die Karten gucken zu lassen, weil die manchmal deutlich weniger Trümpfe haben, als wir es uns wünschten und anderen gegenüber vorgeben.

Wer ist der /die Größte? Wer ist am wichtigsten?

Diese Frage verbreitet den starken Druck, nach außen möglichst gut dazustehen. Und sie macht einen gleichzeitig sehr einsam bei allem, was nicht so richtig gelingt, wo wir hinter den fremden und den meist noch höheren eigenen Erwartungen zurückbleiben, oder was wir kräftemäßig einfach nicht schaffen. Keiner möchte riskieren, sich eine Blöße zu geben und womöglich bei anderen als Versager eingestuft zu werden. Der schöne Schein soll trotz Sparzwang und rasanter Entkirchlichung der Gesellschaft gewahrt bleiben. Also strampeln wir weiter, laden uns noch mehr auf (oder lassen uns noch mehr aufladen) und verlieren unsere Energie und unsere Lust an der Arbeit und am Leben durch Gefühle von Überlastung, aber auch von lähmendem Frust. Die vielen burn outs unter kirchlichen Mitarbeitern sind dafür ein trauriger Beleg.

So soll es unter euch nicht sein! sagt Jesus und warnt an anderer Stelle: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“

Als guter Seelsorger will Jesus verhindern, dass seine Nachfolger sich und andere kaputtmachen mit dem Wunsch, möglichst wichtig zu sein. Aber er ist auch weise genug, zu wissen, dass ein schlichtes Verbot gegen ihn nicht wirkt. Deshalb gibt er ihm eine neue Richtung (wir würden das heute „reframing“ nennen.) Er sagt: „Wenn jemand will der erste sein, der soll der letzte sein von allen und aller Diener.“ Das heißt: am wichtigsten ist, dass Eure Fähigkeiten und Erfahrungen dazu dienen, andere stark zu machen. Sie sollen in Eurer Gegenwart aufblühen und von Herzen sagen können: es tut mir gut, mit dir zusammenzusein! Oder: Wenn ich von dir weggehe bin ich 2 cm größer.

Nach dieser Regel versuchen Sie sicher alle, in der Gemeinde zu arbeiten. Aber wie ist das im Umgang mit KollegInnen, wie ist das im Presbyterium und in anderen kirchlichen Gremien? Begegnen Sie einander da auch mit einem echten Interesse und tragen dazu bei, eine Atmosphäre von Freundlichkeit und Wertschätzung zu schaffen? Können sich die, mit denen Sie zusammenarbeiten in Ihrer Nähe eigenständig entfalten? Nehmen Sie kollegiale Kritik an und reagieren Sie in Konflikten so, dass Sie niemanden verletzen oder fertigmachen? Und schließlich: trauen Sie sich, sich vor anderen zu „Letzten“ zu machen und um Hilfe zu bitten, wenn Sie an Ihre Grenzen kommen?

Ich muss gestehen, dass ich diese Fragen nicht alle mit Ja beantworten könnte! Vielleicht deshalb hat mich die Äußerung eines muslimischen Gesprächpartners beim Runden Tisch sehr nachdenklich gemacht, der gesagt hat: ein guter Moslem ist nicht der, der von sich überzeugt ist: ich bin ein guter Moslem, sondern der, über den es sein Nachbar sagt. In unserem Kontext heißt das: Stimmt unsere Selbstwahrnehmung mit der Fremdwahrnehmung im Pfarrerkreis und im Presbyterium überein?

Ich bin sicher, es gibt für uns alle noch viele Chancen, uns in der menschlichen Größe einzuüben, um die es Jesus geht: in einer Größe, die geben, aber auch bitten kann, die andere trägt, sich aber demütig bewusst bleibt, wie sehr selbst der stärkste Mensch darauf angewiesen ist, von anderen getragen zu werden.

In diesem Sinn würde ich mir wünschen, dass wir einander noch aufmerksamer wahrnehmen, über die vertrauten Kreise hinaus, dass wir gelungene Projekte unserer Arbeit noch intensiver miteinander austauschen, und zwar so, dass sie wirklich der Anregung und Ermutigung anderer dienen, und dass wir endlich die Angst verlieren, uns zu blamieren, wenn wir einander ehrlich mitteilen, was nicht so gut läuft in unseren Gemeinden und uns bei anderen Rat und Hilfe holen für unsere Arbeit.

Wenn Ergänzung noch mehr an die Stelle von Konkurrenz tritt, wenn das Denken in Gemeinsamkeit uns noch mehr von unserem Einzelkämpfertum befreit, wird sich das Klima bei unseren kirchlichen Zusammenkünften heilsam verändern und die Müdigkeit daraus verschwinden! Dank einer tragfähigen Vernetzung miteinander werden wir auch den schwierigen Veränderungen und Einschnitten, die auf unsere Gemeinden noch zukommen, viel besser standhalten können, und wir können uns gegenseitig auf vielerlei Weise beweisen: keiner steht allein oder auf verlorenem Posten! Und Gottes Wege enden nicht, wo wir vor die Wand laufen!

Viele gute Anfänge in die Richtung eines achtsamen Miteinanders, das jedem Beteiligten gut tut, sind ja auch längst schon gemacht und wirken sich segensreich darin aus, dass aus dem Zusammensein auf Synoden, in Gremien und Pfarrkonventen oft auch Lust und Zuversicht wächst für unsere verschiedenen Aufgaben in der Nachfolge Jesu Christi, der zugleich unser aller Herr und Diener ist.

Am Freitag, den 12.11. und am Samstag, den 13.11.2010 fand die 6. Tagung der 2. Synode des Kirchenkreises Wuppertal im Gemeindezentrum Hottenstein der Gemeinde Wichlinghausen-Nächstebreck statt. Die Synodalandacht hielt Sylvia Bukowski am 13. November.


Sylvia Bukowski, Pfarrerin in Wuppertal