Das mit dem Flieder

Predigt zu Röm 11, 33-36 zum Sonntag Trinitatis, 7. Juni 2020

© Pixabay

Von Kathrin Oxen

Das mit dem Flieder ist für dieses Jahr schon wieder vorbei. Es gibt Straßen, sogar in der Stadt, da wirbeln noch Blütenblätter im Wind. Aber bald sind sie fort. Und um die Ecke wirft der Nachbar schon den Rasenmäher an. Leider nicht zu überhören. Und danach ist es kurz, all das Grün.

So geht dies Jahr voran. Wie in jedem Jahr gehe ich durch das Jahr hindurch und sehe mich selbst in ihm. Es ist sind nicht mehr die Frühblüher und das ganz junge Grün, in denen ich mich wiederfinde. Noch ist es hauptsächlich der Flieder, was für ein Glück. Und es wird ganz bestimmt auch später im Leben noch Tage geben, die wie Mai und Flieder sind.

Jünger fühlt es sich grüner an. Und ab dem nächsten Sonntag fühlt es sich grün an in der Kirche. Heute ist der Sonntag Trinitatis, heute ist hier noch einmal alles weiß, wie bei allen Festen. Aber ab dem nächsten Sonntag hängen in den Kirchen grüne Paramente an Kanzel und Altar. Nach diesem Sonntag kommen die vielen, vielen grünen Sonntage ohne Besonderheiten, grün, das schon, aber leider so ganz ohne Flieder. Nach der ersten Hälfte die erwachsene Zeit im Jahr. Sie passt zu der erwachsenen Zeit in meinem Leben. Grün, gepflegt, mit den Rasenmähern im Ohr. Gib mir doch etwas mit für die Zeit, die jetzt kommt, sage ich. Gib mir heute etwas, das ich mitnehmen kann in die grüne Zeit ohne Flieder. Und ich bekomme, wir bekommen diese Worte:

O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Wie unergründlich sind seine Entscheidungen und unerforschlich seine Wege!
Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt,
oder wer ist sein Ratgeber gewesen?
Wer hat ihm etwas geliehen, und es müsste ihm von Gott zurückgegeben werden?
Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist alles.

Ich höre den Rasenmäher. Das sind doch Worte, die mich kurz halten wollen, oder nicht? Was mit Gott ist, wirst du nicht herausfinden, sagen die Worte. Das ist zu tief für dich, glaub es mir. Gottes Entscheidungen sind unergründlich, seine Wege sind unerforschlich. In den Festzeiten im Leben, bei den Anfängen, ist es nicht so schwer: Glauben, dass Gott mit meinem Leben etwas zu tun hat und mir nahe ist, mir etwas schenkt.

Aber jünger fühlt es sich eben grüner an und die Sache sieht anders aus, wenn der Flieder verblüht, wenn das Schwere da ist in meinem kleinen Leben und in der großen Welt. Es ist die grüne Zeit, in der man anfängt, Fragen zu stellen, die Zeit ohne Flieder. Und ein erwachsener Glaube muss aushalten, dass die Antworten auf sich warten lassen. Das Leben ist eben manchmal kurz und nicht immer gut. Was an Glauben gewachsen ist in einem Menschenleben, das kann mit Gewalt herunter geschnitten werden. Welch eine Tiefe.

Sollen wir mit diesen Worten weitergehen, in die grüne Zeit hinein? Dass wir Gott nichts fragen dürfen, weil seine Entscheidungen unergründlich sind und seine Wege unerforschlich?

Die Worte sind von Paulus. Und er hat sie aufgeschrieben, als er lange nachgedacht hatte über eine Frage, die ihn sehr bewegt hat: Wie kann es sein, dass Gottes Volk, Israel, sich nicht dem Weg anschließt, der mit Jesus begonnen hat. Warum werden nicht alle Juden Christen? Aus ihrem Volk kommt doch der, der von sich sagt, dass er der Sohn Gottes ist. Es ist ein Lebensthema für Paulus, eine von diesen Fragen, die man ein Leben lang hin- und herwälzen kann in seinem Herzen, ohne zu einer Antwort zu kommen. In diesem Brief an die Römer, den Paulus schreibt und der sein letzter Brief überhaupt ist, geht es deswegen auch um dieses Lebensthema, mehrere Kapitel lang.

Und dann, ganz am Ende, hört Paulus auf, nachzudenken. Ich komme nicht weiter. Ich finde keine Antwort. Aber ich glaube, dass Gott weiß, was er tut. Alles, was ich erkennen kann, ist Gottes besondere Liebe zu seinem Volk, eine Liebe wie die Liebe zwischen uns Menschen, unergründlich und unerforschlich. Gott liebt das jüdische Volk. Es gibt keinen besonderen Grund dafür. Er hat es in die Welt gepflanzt wie ein Gärtner einen Ölbaum in seinen Garten, es geliebt, gehegt und gepflegt. An dieser Liebe haben Menschen aus allen Völkern Anteil bekommen, durch Jesus aus Nazareth-.

Und was nun mit diesem Ölbaum Israel wird, das weiß nur Gott. Unergründlich und unerforschlich ist Gottes Liebe zu uns Menschen, ob sie nun Juden sind oder Christen, ob sie einer anderen oder keiner Religion angehören. Der Flieder übrigens, der fast überall auf der Welt blüht. gehört zur Familie der Ölbaumgewächse.

Ich wünschte mir, ich könnte so wie Paulus mit dem umgehen, was meine Lebensthemen sind. Es gibt in jedem Leben Dinge, die wälzt man hin- und her in seinem Herzen, ohne je eine Antwort zu bekommen. Und es gibt in jedem Leben Zeiten, da glaube ich einfach nicht, dass das alles noch mit Gott etwas zu tun hat, wenn der Flieder verblüht ist und der Rasenmäher gekommen. Und es wäre sogar besser, ich müsste das alles nicht auch noch mit Gott zusammenbringen.

Und dann aufhören mit den Fragen. Loslassen und erkennen: Gott ist Gott. Und ich bin ein Mensch, ein wilder schöner Fliederbusch in Gottes großem Garten. Ich kenne Gottes Entscheidungen nicht und auch nicht Gottes Wege. Ich weiß nicht, was Gott will. Ich bin die letzte, die ihm Ratschläge geben könnte. Und vor allem: In der Beziehung zu Gott geht es nicht darum, Gott etwas zu geben. Gott ist doch reich. Er muss nichts von uns bekommen, um uns etwas geben zu können.

O welch eine Tiefe, des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes. Gott ist reich und weise und wissend. Und vor allem liebt er uns Menschen. Martin Luther sagt: „Gott hat die Welt nicht also geschaffen, wie ein Zimmermann ein Haus bauet und danach davon gehet und lässt es stehen, wie es stehet; sondern bleibt dabei, und erhält alles.“

Wenn ich die Geschichte Gottes mit seinen Menschen in einem Satz zusammenfassen müsste, wäre es der: Gott bleibt dabei. Und wenn ich die Geschichte Gottes mit mir in einem Satz zusammenfassen müsste, wäre es der: Gott bleibt dabei. Deswegen nimmt er für mich immer wieder eine andere Gestalt an, ist der, der mich gemacht hat, begegnet mir in dem, was Jesus gesagt und getan hat und bewegt mich durch den Heiligen Geist.

Es gibt nicht nur einen Anfang mit Gott, es gibt auch eine Mitte mit Gott und auch am Ende wird es Gott sein. Welch ein Reichtum, welch eine Weisheit, welch eine Erkenntnis über meinem Leben. Mit diesen Worten will ich durch die grüne Zeit gehen. Und es duftet nach Flieder dabei.

Amen.


Kathrin Oxen
Jeden Sonntag: Gemeinsam unterwegs in besonderen Zeiten - von Kathrin Oxen

Kathrin Oxen, Moderatorin des Reformierten Bundes, gibt Ihnen auf reformiert-info.de jeden Sonntag Materialien für den Gottesdienst für Zuhause, dazu eine aktuelle Predigt.
 

Nach oben   -   E-Mail  -   Impressum   -   Datenschutz