Von den Füchsen und Vögeln
Predigt zu Lukas 9, 57-62 am Sonntag Okuli, 7. März 2021
Die Kinder haben ihn gesehen. Er war auf ihrem Schulhof. Aus den Mülleimern hat er sich die Reste der Brote geholt, auch angebissene Äpfel. Unter einem der großen Spielgeräte fanden die Kinder sehr viel Sand, feucht aufgeworfen. Sie waren das diesmal nicht gewesen. Er hat sich eine Höhle gegraben. Und da knieten die Kinder sich in den Sand. Ihre Knie wurden kalt dabei. Sie sahen genau nach, in das Dunkel unter dem Holzboden hinein. Dort war sein Lager. Darin fanden sich Papiertüten, auch Plastik und Federn. Wohl der Rest eines Taubenflügels. Von ihm selbst keine Spur. Aber die Kinder haben ihn wirklich gesehen, aus dem Fenster, als gerade keines von ihnen nach draußen durfte. Einen Fuchs.
Und gehen wir von dem Schulhof weg nach Hause, die große Straße entlang, wo die Autos ihren Lärm machen und die vielen Menschen sind, dann sind da Sträucher. Aus ihnen lärmt es auch, aber anders. Einer dieser dürftigen Stadtsträucher oder ein Stück Hecke hinterm Zaun. Das reicht den Vögeln schon. Da sitzen sie zusammen, tschilpen und zwitschern. Das Kind hat sie mir gezeigt. Es sind sehr viele. Und wir sehen, wie sie anfliegen und landen und wieder ausfliegen, als sei zum Beispiel dieser eine Strauch neben dem Tor zu unserem Hof ihr Zuhause. Sie wohnen unter der gleichen Adresse wie wir. Und 25 bis 45 Gramm leichte Vögel kommen durch einen ganzen Winter in Berlin. Sie spüren, wie wir, dass endlich der Winter vorbei geht und hoffen, wie wir, dass die Stadt leichter wird im Frühling und erst recht dann im Sommer, mit der Sonne und den Brotkrumen von den Tischen draußen und dem tropfenden Rest einer Eiswaffel neben dem Mülleimer. Die Vögel haben dann sogar Nester.
Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. (Lk 9,58)
Die Kinder haben ihn gesehen. Und die am Rand der großen Straße, vor der Stadt. Plötzlich und ganz dicht steht er vor dem Blinden. Geht hin zu dem Gelähmten, dem ohne eigene Kraft und gibt ihm von seiner etwas ab, der Menschensohn. Wo man auf ihn gut vorbereitet ist, geht er aber vorbei. Er kehrt dafür bei denen ein, zu denen sonst keiner kommt. Wenn man ihn einlädt, isst und trinkt er, bringt aber nichts mit außer sich selbst. Er lässt sich die überschwängliche Hingabe von Frauen gefallen und nimmt, was sie ihm schenken. Sie erkennen, wer er in Wahrheit ist. Er achtet die anhängliche Treue der Männer. Sie gehen so geduldig immer weiter mit ihm, auch wenn sie ihn oft gar nicht verstehen oder nur sehr langsam. Und er liebt die Kinder.
Jesus streicht durchs Land, wie ein Fuchs, plötzlich da, kurz gesehen, schnell wieder verschwunden, ein paar Reste hinterlassend, ein bisschen Brot und Worte wie Taubenflügel. Jesus fliegt ein und aus wie ein Vogel, leicht und frei, keine Adresse, kein fester Wohnsitz. Kommt gut durch ein paar Winter, mit Abendessen in festen Häusern, wo es Wein gibt und einem Dach für eine Nacht oder zwei. Kommt noch leichter durch den Sommer, mit etwas Brot und Fisch draußen am See. Kommt zurecht mit dem, was gerade da ist. Und seien es auch nur Körner vom Feld, ausgerieben in der Hand. Sieht zwischen dem Korn auf dem Feld die Lilien blühen, hebt den Blick zu den Vögeln unter dem Himmel, so leicht und so frei wie er.
Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. (Lk 9,58)
Das ist keine Antwort. Da war aber auch keine Frage. Als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. (Lk 9, 57). Einer wagt es und spricht Jesus an. Er hat schon so viel gehört von ihm und jetzt ist Jesus da, so plötzlich wie immer, vielleicht auch schnell wieder weg. Da fasst sich der eine ein Herz. Und er sagt einen von diesen Sätzen, die man vielleicht zwei oder dreimal sagen kann in einem ganzen Leben: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Das ist so einer von den Sätzen, die man stumm für sich zu sagen übt, voller Hoffnung, dass es einmal, irgendwann, irgendjemandem geben könnte, zu dem dieser Satz passt. Und jetzt ist Jesus da. Zu ihm passt dieser Satz. Ich will dir folgen, wohin du gehst. Ein großer, schöner Satz, so voller Hingabe. Und wie alle echte Hingabe völlig verschwendet. Denn der ihn sagt, kennt tief im Herzen schon die Antwort. Stellt er deswegen gar nicht erst eine Frage?
Er sagt diesen schönen, schönen Satz. Aber er passt nicht zu Jesus. Jesus zu folgen bedeutet: Noch weniger haben als eine selbst gescharrte Grube im Sand, noch weniger als einen dürftigen Strauch am Rand der Straße, weniger noch als die Reste. All die Füchse und Vögel mit ihren Gruben und Nestern, genährt von Resten, die keiner mehr will, sie gehören schon zu den Wohlhabenden, wenn man sie mit Jesus vergleicht. Wer kann so leben, wer hat noch weniger als sie oder wäre bereit, alles aufzugeben, was er hat, fortzulaufen, auszufliegen? Wer kann das, mit Jesus durch das Land, durch die Dörfer und Städte, ohne Adresse und festen Wohnsitz, noch scheuer und schneller als ein Fuchs, noch leichter und freier als ein Vogel? Einer will es. Und kann es nicht. Und mehr ist dazu nicht zu sagen.
Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. (Lk 9,58)
Die Kinder haben ihn gesehen, den Fuchs, auf ihrem Schulhof, als gerade niemand nach draußen durfte. Das Kind zeigt mir die Vögel im dürftigen Strauch neben dem Tor zum Hof. Die Kinder haben Augen dafür, dies alles zu sehen. Solchen gehört das Reich Gottes, sagt Jesus. Wenn ich mit den Augen der Kinder durch die Stadt gehe, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass ich Jesus finde. Nicht bei den gut Vorbereiteten. Also auch nicht in den Kirchen am Sonntag. Er ist dort, wo ich zu meinem Kind sage: Guck da nicht so hin. Neben dem stinkenden Obdachlosen in der U-Bahn, neben dem Haufen aus Matratze, Schlafsack, Plastiktüten unter der Brücke. Er ist da, wohin ich mein Kind nicht mit hinnehmen würde: Spätabends an den gewissen Straßen, in einer Gefängniszelle, in dem stickigen Krankenzimmer und der vermüllten Wohnung im grauen Block.
Und wenn ich so nicht nur durch die Stadt gehe, sondern durch die Welt, dann finde ich Jesus wahrscheinlich nicht in unserem Land, nicht einmal in Europa, sondern dort, wo die Grenzen der Not der Menschen nicht mehr standhalten, auf den schlammigen Wegen der Flüchtlingslager in Kälte und Wind, zwischen den Zelten und kleinen Feuern. Bei den Hungernden. Auf dem Boot im Meer. Da ist Jesus. Und wer ihn sucht und seinen Spuren folgen will, der muss auch da hin. Daher kommt es, dass wir all das tun. Bahnhofsmission, Kältehilfe, Gefängnisseelsorge, Krankenhausseelsorge, Flüchtlingshilfe. Sogar ein Rettungsschiff haben wir gekauft. Wir machen das nicht, weil wir so gute Menschen sind. Wir machen das, weil wir Jesus nachfolgen. Weil wir ihn finden wollen in unserer Welt.
Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. (Lk 9,58)
Jesus nachfolgen, so schnell und scheu wie ein Fuchs sein, leicht und frei wie ein Vogel werden und noch mehr als das. Ich will das auch, trotz festem Gehalt und Dienstwohnung. Trotz meines Lebens, aus dem ich genauso wenig hinauskann wie die Kinder in der Schule auf den Hof. Ich will. dass Jesus kommt und meine Blindheit heilt, damit ich Augen bekomme, die sehen, was andere schon nicht mehr sehen. Dass er kommt und mir abgibt von seiner Kraft. Damit ich meine Hingabe spüre und meine Treue zu ihm. Denn Jesus ist da, in unserer Welt. Er war auf ihrem Schulhof und er saß im Strauch neben dem Tor, schnell und scheu, leicht und frei. Sie haben ihn gesehen. Und ich glaube ihnen.
Amen
Kathrin Oxen
Kathrin Oxen, Moderatorin des Reformierten Bundes, gibt Ihnen auf reformiert-info.de jeden Sonntag Materialien für den Gottesdienst für Zuhause, dazu eine aktuelle Predigt.
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