Selig sind alle

Predigt über Matthäus 5, 1-12 (Seligpreisungen)

© Pixabay

Gottes Verblüffungsstrategie: Die Seligpreisungen gehören zu den bekanntesten Versen der Bibel. Sie werden oft zitiert. Das wiederkehrende „Selig …“ macht den Text einprägsam.

1 Als er (Jesus) nun die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg; und als er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf und lehrte sie:
3 Selig die Armen im Geist - ihnen gehört das Himmelreich.
4 Selig die Trauernden - sie werden getröstet werden.
5 Selig die Gewaltlosen - sie werden das Land erben.
6 Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit - sie werden gesättigt werden.
7 Selig die Barmherzigen - sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8 Selig, die reinen Herzens sind - sie werden Gott schauen.
9 Selig, die Frieden stiften - sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden.
10 Selig, die verfolgt sind um der Gerechtigkeit willen - ihnen gehört das Himmelreich.
11 Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch das Ärgste nachsagen um meinetwillen und dabei lügen.
12 Freut euch und frohlockt, denn euer Lohn im Himmel ist groß. Denn so haben sie auch die Propheten vor euch verfolgt.
(Matthäus 5, 1-12)

Liebe Gemeinde,

dieser Tage findet in Basel ein Symposion statt zum Thema: Kann man Gott beleidigen? Da geht es um die Toleranz des Christentums und anderer Religionen. Die Satire kennt ja heute keine Grenzen mehr. Über alles darf gelacht und gespottet werden. Über Politiker, über Präsidenten – und auch über Gott. Etwas Erstaunliches habe ich in diesem Zusammenhang gelesen: Allah zu beleidigen ist im Islam kein Problem. Mohammed dagegen schon. Allah, also Gott, ist souverän genug, das auszuhalten. Anders sieht es mit Mohammed aus, dem Propheten. Denn der sei ein Mensch gewesen und also sehr wohl leidensfähig. Deshalb verbietet es der Anstand, ihn zu schmähen und überhaupt bildlich darzustellen.

Ich habe mir mal überlegt, was mich aus der Fassung bringt. Kann ich es ertragen, wenn sich Menschen respektlos über den christlichen Glauben äußern? Nun, das kommt ja schon selten genug vor. Wann ist schon mein Glaube Gegenstand der Diskussion? Und warum sollte er Gegenstand von Spott und Hohn werden. Es tut ja niemand weh, was ich glaube oder nicht. Und ganz allgemein? Jesus? Gott? Die Kirche?

Ein Film wie „Das Leben des Brian“, in dem Jesus zu einer Witzfigur wird – unter anderem übrigens genau mit einer Parodie auf die Seligpreisungen – bringt mich selbst zum Lachen. Dieser Film zeigt so herrlich unverblümt, wohin es führt, wenn wir uns heute Jesus und seine Zeit wie in einem Historienfilm vorzustellen versuchen. Dieser Film verdient das Prädikat „theologisch besonders wertvoll“, weil er uns durch die Überspitzung auf das Wesentliche hinweist.

Denn - was mich sehr wohl in Rage bringt, liebe Gemeinde, ist wenn jemand nicht humorvoll überspitzt, sondern böswillig und perfide sich darüber lustig macht, dass Menschen zu gut sind. She is „very weak“, polterte Donald Trump über die kommissarische Justizministerin. „Sie ist sehr schwach was die illegale Einwanderung angeht“. Und schon war sie gefeuert, weil sie nicht alle Muslime und Menschen aus bestimmten Ländern unter Generalverdacht stellen wollte.

Und so ist es ja in Europa auch immer häufiger zu hören. Wir seien eine schwache Gesellschaft, ließen alles mit uns machen, setzten uns nicht ausreichend zur Wehr, seien naiv – eben zu gut für diese böse Welt. Noch sind es die ganz rechts außen, die auch in Deutschland solche Töne anschlagen. Wie Bernd Höcke in seiner Rede in Dresden, als er sich in lächerlicher Weise als Hitler junior gerierte, der Deutschland aus seiner Schmach herausführen will. Noch sind es solche, die man nicht richtig ernst nehmen kann. Aber es wird nicht mehr lange dauern, dann wird sich über Texte wie die Seligpreisungen lustig gemacht. Natürlich nicht ausdrücklich. Wer wollte denn schon die Bibel schmähen. Das tut man ja nicht!

Aber der Sinn der Worte, die Seligpreisung der Menschen, die schwach sind und es gut meinen, der wird in mehr und mehr und immer öfter der Lächerlichkeit preisgegeben. Wenn wir also die Bibel und das, was darinsteht, ernst nehmen, dann müssen wir uns dagegen wehren.

So, liebe Gemeinde, das war jetzt mal der emotionale Höhepunkt einer Predigt gleich am Anfang. Nun lassen Sie uns die Zeilen mal genauer ansehen, ob sie tatsächlich so weltfremd sind, und wie sie stark gemacht werden können in einer Stimmung, die sich gegen die Schwachen und Friedfertigen wendet.

Zunächst etwas zu der Form, die ich ja schon ganz zu Anfang angesprochen habe: Die neunmalige Wiederholung des „Selig …“ oder auch „Glücklich …“ deutet darauf, dass dieser Text eine kunstvolle Komposition ist. Aus der Textgeschichte, zum Beispiel dem Vergleich mit dem Lukasevangelium kann man schließen, dass nur die drei ersten wirklich auf Jesus zurückgehen und die folgenden später dazu kamen.

Doch mit den dreien (Selig sind die Armen im Geist, die Trauernden und die Gewaltlosen) ist nicht nur der Rhythmus vorgegeben, sondern eigentlich auch schon alles gesagt. Andere und zuletzt Matthäus haben den tiefen Sinn der Worte auf weitere Situationen übertragen, wie Jesus es auch hätte tun können. Ja vielleicht auch getan hat. Wie auch andere Sätze aus der Bergpredigt ist deshalb so klar, dass sie auf Jesus zurückgehen, weil sie eben so scheinbar weltfremd sind. Auf die Idee, so etwas zu sagen – und zwar so zu sagen, dass es Eindruck macht und glaub-würdig ist, kommt nicht irgendwer. Oder es nimmt jedenfalls niemand ernst.

Es passt sehr gut zu vielen anderen Aussagen, in denen Jesus seine Mitmenschen überrascht hat. Wahrscheinlich sogar verstört. Aber eben auch berührt. Das ist ja das eigentliche Wunder, dass Jesus zwar am Ende mit dem Tod dafür bezahlen musste, aber doch so lange mit so ungewöhnlichen Aussagen und Handlungen Menschen in seinen Bann gezogen hat.

Aber was genau wird denn eigentlich gesagt? Jesus spricht Menschen selig, spricht ihnen zu, dass sie glücklich seien. Nach dem katholischen Verständnis heißt selig zu sein, Gott schauen zu können. Die Voraussetzungen sind in der katholischen Prozedur etwas andere als bei Jesus, aber am Ende geht es um etwa dasselbe: Diese Seliggesprochenen werden herausgehoben, ihnen wird die endgültige und nicht mehr endende Glückseligkeit zugesprochen, die wir uns alle wünschen und der wir im Leben vergeblich nachlaufen.

Das ist nicht ohne. Da geht es nicht um ein paar glückliche Momente, sondern ums Ganze. Und das ist natürlich auch das Faszinierende. Aber gleichzeitig auch das Unfassbare an diesem Text. Wie soll das gehen? Was muss ich dafür tun? So haben sich sicher schon die damals Zuhörenden gefragt und tun wir es bis heute.

So sind wir Menschen ja. Wenn uns eine Belohnung versprochen wird, dann fragen wir sofort: Und was müssen wir dafür tun? Genau so wird natürlich auch oft mit den Seligpreisungen verfahren. Sie werden gerne zitiert als Mahnung, als moralische Keule: So wenig friedfertig wie du bist, wirst du eben nicht glücklich und nicht seliggesprochen.

Sieben der neun Seligpreisungen kann man leicht so interpretieren. Wenn es um die Gewaltlosigkeit geht, um die Barmherzigkeit, um die Gerechtigkeit und die Reinheit des Herzens und um die Verfolgung, die zu erleiden ist, da können wir uns an die eigene Nase packen und uns fragen: Ja mach ich das denn? Bin ich denn so, wie Jesus es verlangt?

Doch interessanterweise die beiden ersten, von denen es ja heißt, dass sie mit größter Wahrscheinlichkeit von Jesus so gesagt wurden, haben einen ganz anderen Duktus.

3 Selig die Armen im Geist - ihnen gehört das Himmelreich.
4 Selig die Trauernden - sie werden getröstet werden.

Armut und Trauer, das sind ja wohl beides Zustände, die die Betroffenen nicht selbst zu verantworten haben. Arm im Geist ist man von Geburt an und trauernd, wenn jemand gestorben ist. Also klappt das hier mit der Ermahnung ja wohl nicht.

Bei den anderen theoretisch zwar schon. Natürlich sollen wir uns um Friedfertigkeit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bemühen und für unseren Glauben einstehen, auch wenn es ungemütlich wird. Doch auch bei den beiden letzten Seligpreisungen wird es komisch, wenn man sie als Ermahnungen liest:

10 Selig, die verfolgt sind um der Gerechtigkeit willen - ihnen gehört das Himmelreich.
11 Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch das Ärgste nachsagen um meinetwillen und dabei lügen.

Sollen wir uns absichtlich verfolgen lassen? Und müssen wir uns am Ende so benehmen, dass uns das Ärgste nachgesagt wird und wir verfolgt werden – damit wir dann bei ihm eine Chance haben glücklich zu werden? Genau diese Logik „wenn du das tust, bekommst du das dafür“ stellt Jesus in seinem Leben, mit seinen Worten und am Ende mit seinem Sterben in Frage. Ja nicht nur das: Er widerspricht diesem Zusammenhang zwischen dem, was wir tun und dem, wie es uns dann ergeht. Diese unbarmherzige Logik ist nicht sein Ding und ist vor allem nicht Gottes Sache. Das ist gewissermaßen die Grundbotschaft – das Evangelium.

Die Seligpreisungen sind also kein Belohnungskatalog, sondern wollen etwas ganz Anderes sagen. Ja, etwas ganz Anderes, obwohl es zunächst sehr ähnlich scheint. Es sind nämlich – so will ich es mal auf den Punkt bringen – Tröstungen und keine Vertröstungen. Als Ermahnungen gelesen sind die Barmherzigen nämlich nicht glücklich, sondern es wird ihnen die Seligkeit versprochen. Vielleicht später oder auch erst nach dem Tod – auf jeden Fall nicht jetzt. Denn es muss ja vorher erst was geleistet werden.

So ist das ja in unserem Leben in vielen Bereichen auch und deshalb fällt uns das nicht unangenehm auf. Selbst wenn wir das sehr ernst nehmen, ist das also nur ein Anforderungs­katalog unter vielen. Wer erwartet nicht alles etwas von uns. Und was erwarten erst wir selbst von uns? Der Glaube als höchstes Anforderungsprofil in unserem Leben. So verstehen viele die Sache mit Gott. Und nehmen das sehr ernst. Nicht wenige, sondern alle scheitern natürlich daran. Weil man es Gott nie recht machen kann. So wenig wie sich selbst.

Und dann ist der Weg nicht weit dahin, sich lieber abzuwenden. Weil es ja leicht als Hirngespinst abgetan werden kann. Gott muss man ja nicht glauben. Im Hier und Jetzt zählen Anforderungen, die viel konkreter sind und uns viel mehr unter Druck setzen. Weil wir schon morgen zu spüren bekommen, wenn wir nicht spuren.

Es braucht schon einen ziemlich deutlichen Wechsel der Perspektive, um die Seligpreisungen als einen tröstlichen Text zu verstehen. Aber dieser Perspektivwechsel ist genau der, den uns die ganze Bibel empfiehlt. Ja, auch schon Texte des sogenannten Alten Testaments machen das zu allem anderen als zu einem alten Text. Immer wieder verblüfft uns Gott in den Geschichten damit, dass er in Vorleistung geht, dass er Menschen ganz anders begegnet als diese erwarten. Und Jesus ist diese menschgewordene Verblüffungsstrategie Gottes. Er lebet den Menschen seiner Zeit uns heute vor, wie anders Gott ist und wie anders er sich uns wünscht. Aber eben nicht anders in unserer Mühe, es ihm recht zu machen, sondern anders in unserer Dankbarkeit für seine Zuwendung zu uns.

Selig, liebe Gemeinde, sind die Armen, Trauernden, die Gewaltlosen und die an die Gerechtigkeit glauben. Selig sind die Gewaltlosen und die ein Herz haben. Sie sind es. Sie werden es nicht erst sein, wenn sie die Bedingungen erfüllt haben, sondern jetzt.

Weil sie das, was sie sind und machen mit Gott verbindet. In der Trauer können sie dankbar sein für die guten Zeiten miteinander. Die im Geist arm sind, fühlen sich bei ihm gar nicht weniger reich als Andere. Und denen aus Hass Übles nachgesagt wird, lassen sich dadurch nicht provozieren. Natürlich bemühen wir uns auch nach diesem Perspektivwechsel um Gerechtigkeit, lösen Probleme ohne Gewalt und gehen miteinander barmherzig um. Aber aus Dankbarkeit und nicht, um uns damit etwas zu erarbeiten.

Gottes Liebe kann man nicht erwirtschaften und dann auf irgendein Konto gutschreiben lassen. Diese Vorstellung lässt sich zwar schwer aus unseren Köpfen löschen, doch sie stimmt nicht, wenn wir dem glauben, was in der Bibel immer und immer wieder erzählt und geschrieben wird.

Die Seligpreisungen sind ein Herzstück dieser Botschaft. Sie wollen uns trösten und nicht mahnen. Und sie beschreiben uns die Liebe Gottes als eine wirksame Kraft. Das Glück derer, die da gemeint sind, ist nämlich mehr als eine Belohnung. Es ist dieser Same, der aufgeht, die Wurzel, die wieder austreibt, die Gelassenheit, die aus dem Vertrauen auf Gott erwächst. In diesen und anderen Bildern wird beschrieben, wie wir die Liebe tatsächlich immer wieder ja auch erleben. Als eine Kraft, die uns am Leben hält, die uns fasziniert, uns mit Menschen verbindet, mit manchen ja sogar ganz innig und tief. Und die bis in die großen Ereignisse der Welt hinein wirkt.

Deshalb, liebe Gemeinde, macht es mich wütend, wenn Menschen über das Christentum spotten. Wenn sie das meinen. Wenn sie die Liebe verspotten, die es ja übrigens auch nicht nur im Christentum gibt, sondern auch in anderen Religionen und Geisteshaltungen. Lustig kann man sich über alles machen. Aber wo immer – auch geschickt getarnt – Überlegenheit propagiert und Hass gepredigt wird, regt sich in mir der Widerstand. Ich merke dann freilich auch, wie schwierig es ist, sich im Sinne der Seligpreisungen nicht unter Druck setzen zu lassen und selbst dem Hass zu verfallen. Dann werden diese Zeilen zu einem Gebet, das mich tröstet und gleichzeitig warnt: Nimm Dich nicht zu wichtig. Das wichtigste ist das Vertrauen auf die Liebe Gottes und das Leben in ihr. Das ist die Kraft, die die Welt verändert. Wenn Gott es will.

Amen.


Georg Rieger