Fastnacht und Fasten

Predigt zum Faschingssonntag von Gudrun Kuhn

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Zum Nachlesen und Nachhören aus der St. Martha Kirche in Nürnberg eine Faschingspredigt, in der es aber vor allem ums Fasten geht. Um Sinn und Verlogenheit dieser Übung.

Helau ...

Sie ahnen es: Ich bin eher ein Faschingsmuffel. Bälle mit Verkleidung und toller Bigbandmusik, das habe ich, als ich jünger war, schon genossen. Die Fledermaus am Rosenmontag, die Altrocker von den Fürther Dullraamern – am liebsten jedes Jahr! Aber Karnevalssitzungen:

  • alberne Witze und fade Sketsche – Fluchtinstinkt
  • Aufforderungen zum Schunkeln – Gänsehaut
  • Büttenreden – meist nur peinlich

Dann lieber doch die heute-show ...

Und jetzt steh ich selber ausgerechnet am Faschingssonntag an der Kanzel ... Klar, der ist in vielen Gemeinden heute Prädikantensonntag. So nennen meine lutherischen Kolleginnen und Kollegen es, 

  • wenn die Hauptamtlichen frei haben
  • wenn Schulferien sind
  • wenn sowieso keiner in die Kirche kommt.

Aber nein! Sie sind ja da. Und ein herzliches Grüßgott!

[Orgelspiel: Narrhallamarsch]

Besonders herzlich willkommen Andy Tirakitti, der trotz Schulferien die Orgel schlägt. Und heute abend zu einem Orgelkonzert der anderen Art einlädt. Mit Weinprobe ...

Wobei wir schon bei einem ganz speziellen Fastnachtsthema wären. Trunksucht und Völlerei. Und leichtfertige Musik. An der Orgel??? Das heilige Instrument missbraucht zum bloßen Vergnügen ... Sie meinen jetzt endgültig, ich sei eine Spaßbremse? Nein, nicht immer. Den Orgelfasching letztes Jahr in unserer Kirche fand ich Klasse. Und den Wein auch. Er erfreut des Menschen Herz, heißt es in der Bibel (Psalm 104,15). Aber wie viel ist erlaubt? Trunksucht und Völlerei galten im Mittelalter als Todsünde. Gula nannte man sie lateinisch: Schlund. Und ab in die Hölle mit gefräßigen Trunkenbolden!

Wie seltsam aber, dass die Kirche in der Fastnachtszeit Ausschweifungen aller Art duldete. Vo­rübergehend. Um danach in der Fastenzeit wieder alles zu verbieten. Ohne Fastenzeit gäbe es überhaupt keine Fastnacht. Und deswegen haben evangelische Gegenden keine echte Fastnachtstradition.

Im liturgischen Kalender für den heutigen Sonntag weisen Wochenspruch und Predigttext bereits in die Passionszeit. Aber das kriege ich nicht hin, wenn draußen die Narren unterwegs sind. Und eine witzige Reimpredigt? Nee, das kann ich  nicht. Darum nehme ich heute ein­fach ein spezielles Karnevalsprivileg für mich in Anspruch: frech da­her­re­den. Garantiert nicht korrekt. Auch nicht ökumenisch korrekt. Garantiert nicht ausgewogen. Garantiert nicht zurückhaltend. Ohne Rücksicht auf Tabus. Hoffentlich verzeihen Sie mir das. Gehört sich eigentlich nicht auf der Kanzel?!

[Orgelspiel: Eieieieieiei – auauauaua]

Keine Fastnacht also ohne Fastenzeit.

7 Wochen keinen Alkohol oder keine Schokolade. Und dann Schnapseier – all you can eat. 7 Wochen kein Fleisch. Super, pupsen dann weniger Rinder? 7 Wochen ohne Auto. Hurra, die Umwelt ist gerettet. 7 Wochen ein reuiger Sünder sein. Und danach?

Darum geht es doch gar nicht – sagen mir jetzt die Verteidiger der Fastenzeit. Fasten ist ein Training der Tugend. Danach ist man ein neuer, ein besserer Mensch. Na gut.  Aber warum muss das ausgerechnet in der Passionszeit sein? Religiös verbrämt.

Fasten, so heißt es, lehrt uns die Solidarität mit den Hungernden! Wie zynisch! Als ob man deren Qualen nachfühlen könnte mit ein bisschen weniger Konsum.

Fas­ten, so heißt es, richtet unser Bewusstsein auf Gott und lässt uns den Leidensweg Christi mit­gehen. Wie anmaßend! Als ob wir uns Seine Gnade durch religiöse Leistungen er­schlei­chen könnten.

Nein – da waren sich unsere Reformatoren alle einig: Fasten hat nichts mit unserer Gottes­be­zie­hung zu tun. Wie sagt Zwingli so schön: Wiltu gern vasten, thuo es; wiltu gern das fleisch nit essen, iß es nüt, laß aber mir daby den Christenmenschen fry.

Und wie ist nun die die evangelische Variante der Fastenzeit? 7 Wochen ohne.

Eine Lachnummer!.

7 Wochen ohne Lügen hieß das im vergangenen Jahr. Ja super – und nach Ostern biegen sich wieder die Balken.

7 Wochen ohne Pessimismus heißt es heute.

Eine seelsorgliche Katastrophe! Welch ein unchristliches Menschenbild!

Pessimisten – das sind offenbar Sünder, die sich selbst erlösen können und sollen. Reißt euch zusammen! Ein wenig Buße. Ein wenig religiöse Tatkraft. Ein wenig selbst erwirktes Seelenheil. Und schon wird alles gut. Innerhalb von 7 Wochen ...

Hallo – du da. Die Meldungen über die Erderwärmung beunruhigen dich. Aber: Du sollst nicht pessimistisch sein!

Hallo – du da. Seit Jahren bist du vergeblich auf der Suche nach einem Partner. Aber: Du sollst nicht pessimistisch sein!

Hallo – du da. Für Langzeitarbeitslose deines Alters gibt es einfach keine Arbeitsplätze mehr. Aber: Du sollst nicht pessimistisch sein!

Hallo – du da. Du hast wenig Hoffnung, dass deine Krankheit geheilt werden kann. Aber: Du sollst nicht pessimistisch sein!

Zumindest nicht in den nächsten 7 Wochen. Als ob wir nicht das ganze Jahr über für uns und mit anderen um Zuversicht beten müssten.

Das also ist Fasten auf evangelisch! Der besondere Kick dabei, so liest man in der evan­ge­li­schen Zeitschrift zeitzeichen: Alles ganz freiwillig. Ohne kirchliche Verordnungen. So ein Schmarrn! Als ob Katholiken sich heute noch Vorschriften machen ließen. Als ob sie unfreiwillig fasten würden, wenn sie es tun.

Und überhaupt hat Fasten gar nicht unbedingt etwas mit Religion zu tun. Genau so wenig wie Pilgern. Für viele gehört das heut­zutage einfach zum Livestyle. Zur Selbstoptimierung. Wie man hört, löst es Glücks­hor­mo­ne aus ...

[Orgelspiel: Wir kommen alle alle alle in den Himmel, weil wir so brav sind ...]

Nein, wir kommen nicht in den Himmel, weil wir so brav sind. Das Himmelreich ist mit Jesus nahe zu uns gekommen. Weil wir nicht brav sind. Und wir sind seine Jüngerinnen und Jünger. Ob­wohl wir nicht brav sind. Vor und nach dem Aschermittwoch. Wir sind mittendrin im Him­mel­reich als freie, befreite Menschen, die im Vertrauen auf Gottes Geist ihre Verantwortung in der Welt ernst nehmen sollen. Nicht sieben Wochen lang. 365 Tage! Tage, an denen wir mal nachlässig und verschwenderisch und ausgelassen sind. Tage, an denen wir vernünftig mit unseren Gewohnheiten umgehen. Tage, an denen wir gut daran tun zu fasten, Tage, an denen wir dankbar genießen, Tage, an denen wir kritisch unser Verhalten überprüfen, Tage, an denen wir fröhlich sind, Tage, an denen wir mal über die Stränge hauen, Tage, an denen wir Fehler bereuen. Jeder und jede in individueller Verschiedenheit. Und am Aschermittwoch ist nicht alles vorbei.

Erstmal die Sau rauslassen – dann reuig beichten? Und alles wird wieder gut? Nö – so nicht!

Für alle Tage gilt, was uns der Apostel Paulus rät:

9Die Liebe sei ohne Heuchelei! Das Böse wollen wir verabscheuen, dem Guten hangen wir an. 10In geschwisterlicher Liebe sind wir einander zugetan, in gegenseitiger Achtung kommen wir einander zuvor. 11In der Hingabe zögern wir nicht, im Geist brennen wir, dem Herrn dienen wir. 12In der Hoffnung freuen wir uns, in der Bedrängnis üben wir Geduld, am Gebet halten wir fest. 13Um die Nöte der Heiligen kümmern wir uns, von der Gastfreundschaft lassen wir nicht ab. 14Segnet, die euch verfolgen, segnet sie und verflucht sie nicht! 15 Freuen wollen wir uns mit den Fröhlichen und weinen mit den Weinenden. 16Seid allen gegenüber gleich gesinnt; rich­tet euren Sinn nicht auf Hohes, seid vielmehr den Geringen zugetan. Haltet euch nicht selbst für klug! 17Vergeltet niemandem Böses mit Bösem, seid allen Menschen gegenüber auf Gu­tes bedacht! 18Wenn möglich, soweit es in eurer Macht steht: Haltet Frieden mit allen Men­schen! (Römer 12)

Freuen wollen wir uns mit den Fröhlichen und weinen mit den Weinenden. Freuen mit den Fröh­lichen – auch in der Fastenzeit. Und weinen mit den Weinenden – auch in der Fastnacht. Für unsere Lebensgestaltung brauchen wir keinen kirchlichen Kalender. Und auch keine so­zia­le Kontrolle, die uns einengt mit Regeln. Über Körperertüchtigung und Schönheitsideale, über Selbstheilung und Persönlichkeitsentwicklung. Entsprechende Ratgeber haben ja längst die Rolle kirchlicher Tugendlehren übernommen. Haben Sie schon einen digitalen Schritt­zäh­ler? Nein? Sie wissen schon, dass Sie dann früher sterben. Kann man auf den Tag genau aus­rechnen ...

Gegen solche Gängelung, die sich tief eingegraben hat in die öffentliche Meinung, viel tiefer als kirchliche Ratschläge, gegen solche Gängelung würde ich gerne so etwas wie das Zürcher Wurstessen veranstalten. Einfach ignorieren, was ‚man‘ so tun soll. Demonstrativ ignorieren. Tabus in Frage stellen.

Wie war das damals in Zürich?

Der Verleger Froschauer, der sein Geld vorwiegend mit reformatorischen Schriften verdiente, hatte 1522 in sein Haus eingeladen. Zu einem Wurstessen. Mitten in der Fastenzeit. Auch Zwingli war dabei. In die Wurst beißen getraute der sich jedoch nicht. Klerikern drohte damals sehr schnell der Scheiterhaufen. Der Bischof hatte überall seine Spitzel. Und trotzdem wollten die Wurstesser gerade ihn provozieren. Allerdings: von ausgelassenem Fastenbrechen konnte keine Rede sein. Der Ruch des Verbotenen hinderte daran. Man reichte sich lediglich den Teller herum, von dem jeder eine kleine Wurstscheibe nahm. Das missfiel der geistlichen Ob­rig­keit allerdings erst recht. Etwas Feierliches lag über diesem Tabubruch. Eine Parodie des Abendmahls wurde den Teilnehmern unterstellt. Natürlich mussten sie sich vor dem Rat der Stadt verantworten und erhielten sogar Geldstrafen. Aber Zwingli stieg danach tapfer auf die Kanzel und verteidigte die Handlung mit klugen theologischen Argumenten.

Kein Christ ist zu Werken, die Gott nicht geboten hat, verpflichtet. Ein Christ darf jederzeit alle Spei­sen essen. So fasst er es ein Jahr später in seinen Thesen für die Zürcher Disputation zu­sammen. Und fürderhin war die Fastenzeit in Zürich zu Ende.

[Orgelspiel: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei]

Noch ein heißes Thema gibt es – oder gab es zumindest früher in der Fastnacht: die zügellose Sexualität. Die Kleriker hatten ihren Spaß hinterher: lüstern konnten sie der österlichen Beichte lauschen. Stoff war dafür genug. Und die armen Frauen saßen ein Jahr später mit einem Ban­kert da. Für den Rest des Lebens geächtet. Auch die Kinder, die nun wirklich nichts dafür konn­ten.

Wie es wohl der Tochter von Anna Reinhard ergangen wäre, wenn Zwingli sich 1524 nicht zur Va­terschaft bekannt hätte. Da heiratete er seine langjährige Geliebte. Ganz ohne Erlaubnis des Bischofs. Schon 1518 hatte er seine Probleme mit der zölibatären Keuschheit zu­gegeben. Und sich gewundert, dass er unter seinen Priesterkollegen keinen kenne, der sich wirklich in Sexverzicht geübt habe. Entsprechend klar und ehrlich sind denn auch seine Argumente ge­gen den Pflichtzölibat. Einfach vernünftig.

Alle, die man Geistliche nennt, sündigen, wenn sie sich nicht durch die Ehe von der Sünde be­wahren, nachdem sie gemerkt haben, dass Gott ihnen sexuelle Enthaltsamkeit versagt hat. [...] Diejenigen, die Enthaltsamkeit geloben, versprechen auf kindliche oder närrische Weise zu viel. Daher erkennt man, dass die, die solche Gelübde abnehmen, an den anständigen Men­schen frevelhaft handeln. (These 29f.)

Da will man uns Reformierten doch immer einreden, dass unsere Reformatoren besonders streng und lustfeindlich waren ... Zwingli beschreibt Sexualität als etwas Natürliches. Theologisch ausgedrückt: als Schöpfungsgabe. Ja, so ist es: Menschen verlassen ihre Eltern und hängen an ihren Liebsten und werden ganz eins mit ihnen mit Körper und Seele. Ganz eins. Ein Fleisch. (Genesis 2,24)

Jahrhundertelang hatten Kirchenlehrer versucht, dieser Schöpfungsgabe den Spaß aus­zu­treiben. Als notwendiges Übel galt sie im Dienste der Fortpflanzung. Noch heute verstecken katholische wie evangelische Fundamentalisten ihre Homophobie hinter dieser Begründung. Gleichgeschlechtliche Liebe kann nicht unter Gottes Segen stehen, weil sie nicht der Zeugung von Kindern dient. Aber Hetero-Frauen jenseits der 50 dürfen kirchlich heiraten ...

[Orgelspiel: Kann denn Liebe Sünde sein]

Hat die Karnevalskultur unsere überlieferten Vorbehalte und Vorurteile gegenüber der Se­xua­li­tät eingedämmt? Hat sie der Freiheit der Liebe zum Sieg verholfen? Und Rollenzwänge von Männern und Frauen gelockert?

Na klar, es gibt seit eh und je das Männerballett. Oh je! Dann lieber doch eine Parade zum Chris­topher-Street-Day. Ja, man und frau darf sich hemmungslos übers jeweils andere Ge­schlecht lustig machen. Öde Männerwitze über Ehefrauen und umgekehrt. Vor zwei Jahren ent­blödete man sich nicht, in Veitshöchheim über das Alter von Madame Macron herzuziehen. Und Waltrauds Mariechen erntet nach wie vor Lachsalven. Na klar: eine Alte mit Inkontinenz und Parkinson. Wie lustig ... Fast so lustig wie alte Männer, die ihr Viagra vergessen haben. Ganz zu schweigen von den verdrucksten Scherzen über Lesben und Schwule hinter vor­ge­hal­tener Hand. Das ist unsere Lach-Freiheit.

Da ist Fremdschämen angesagt.

Dabei war so etwas wie der Kleidertausch früher mal richtig aufrührerisch. Wir müssen uns nur vorstellen, in Nordkorea würden leicht bekleidete Mädchen im Soldatenlook die Beine wer­fen. Oder in Saudiarabien Frauen in Männerkleidern auftreten und Wasserpfeife rauchen. So pro­vokant waren aber unsere Tanzmariechen, die im 19. Jahrhundert französische und preußische Soldaten lächerlich machten. Mein Hut, der hat drei Ecken – Napoleon soll verecken ...

[Orgelspiel: Mein Hut, der hat drei Ecken]

Ach, wie spießig und miefig sind doch unsere Karnevalsausschweifungen. Vielleicht, weil ja nichts mehr verboten ist. Und die allerschlimmsten Faschingsscherze immer noch getoppt werden von den Geschmacklosigkeiten in den Sozialen Medien. Keine Tabus mehr ...

Nur – dass nichts verboten ist, bedeutet ja noch nicht, dass man genau wüsste, was ein gutes Leben ausmacht. Ein Leben ohne Sucht und ohne Fasten. Ein Leben ohne Angst vor der Sexualität. Der eigenen und der anderen.

Der alte Prediger aus dem AT wusste das. Auf ihn höre ich gerne. In der Fastnacht. Und das ganze Jahr über:

7 Auf, iss dein Brot mit Freude, und trink deinen Wein mit frohem Herzen; denn längst schon hat Gott dieses Tun gebilligt. 8 Jederzeit seien deine Kleider weiß, und an Öl auf deinem Haupt soll es nicht fehlen. 9 Genieße das Leben mit dem Menschen, den du liebst, all die Tage deines flüchtigen Lebens, die Gott dir gegeben hat unter der Sonne, all deine flüchtigen Tage. Das ist dein Teil im Leben, bei deiner Mühe und Arbeit unter der Sonne. 10 Was immer du zu tun vermagst, das tu. Denn weder Tun noch Planen, weder Wissen noch Weisheit gibt es im Totenreich, dahin du gehst. (Kohelet 9)

Amen und kommen Sie gut durch die tollen Tage!

 

Gudrun Kuhn, Nürnberg

Predigt zum Nachhören